Prof. Dr. Christiane Tietz, Kirchenpräsidentin, Darmstadt
Diskutiert man über den Einsatz von KI im kirchlichen Bereich, in Gemeindesekretariaten, in Seelsorge oder Gottesdienst, dann dreht sich vieles um Fragen wie: Inwiefern kann Künstliche Intelligenz hier Menschen ersetzen? Kann in Zeiten zurückgehender finanzieller Mittel und von Fachkräftemangel eine Lösung sein, dass KI die Arbeit macht, also Telefonanrufe entgegennimmt, Seelsorge übt, einen Segen spricht, Gottesdienste hält? Diskutiert wird dann, ob KI die Dinge genauso gut kann wie Menschen oder sogar besser.
Die Antwort auf diese Fragen hängt wesentlich damit zusammen, was man unter einem Menschen versteht. Ist der Mensch, wie schon die alten Philosophen meinten, ein Wesen, das sich nur durch seine Intelligenz von den Tieren unterscheidet? So dass man sagen könnte: Je schneller und besser ein Mensch Probleme löst, um so menschlicher ist er.
Oder ist der Mensch mehr als seine kognitive Intelligenz?
Martin Luther hat über den Menschen gesagt: Aus theologischer Sicht ist der Mensch der, der „durch den Glauben gerechtfertigt wird“. Das heißt: Der Mensch ist Mensch durch seine Beziehung zu Gott und Gottes Beziehung zu ihm. Er ist vor Gott nicht Mensch durch schnelle Problemlösung, durch das, was er kann und leistet. Er ist Mensch dadurch, dass Gott sich aus freiwilliger Liebe auf ihn bezieht. Gott sieht dabei auch die Beschränktheiten und Fehler des Menschen.
Der Mensch, auf den sich Gott bezieht und der sich auf Gott bezieht, ist nicht vollkommen, sondern begrenzt. Er ist manchmal müde oder enttäuscht oder schwierig. Selbst wenn die KI vorgibt, auch fehlerhaft zu sein oder müde: Sie ist es nicht; und es ist niemand dahinter, der es ist. Ich werbe dafür, sich nicht auf eine Sicht vom Menschen zu verengen, die den Menschen auf seine kognitive Intelligenz, seine Problemlösungsfähigkeit, reduziert und deshalb durch KI ersetzen zu können meint.
Man sagt gern, das Besondere an KI sei, dass sie so sehr auf die individuellen Bedürfnisse von Menschen eingehen könne wie kein Mensch. Insofern könnte ein speziell für mich von einer KI generierter Gottesdienst meine Bedürfnisse viel mehr befriedigen als ein humaner Gottesdienst. Aber vergessen wir hier nicht, dass KI bei ihrer Erkennung von Muster in Daten ja mit Wahrscheinlichkeiten arbeitet. Individuelles, was den Mustern nicht entspricht, wird von KI entweder nicht erkannt oder als pathologisch abgewertet.
Und ist es überhaupt gut, dass meine Bedürfnisse immer befriedigt werden? Ich gebe ein Gegenbeispiel. Die großen biblischen Propheten haben die Bedürfnisse ihrer Hörerinnen und Hörer, die sie harsch und direkt kritisiert haben, erst einmal nicht befriedigt. Sie waren deshalb weltgeschichtlich so wirksam, weil sie anders waren, weil ihre Botschaft widerständig war und „plötzlich und unerwartet in die heile Genußwelt des Selbst ein[brach]“1.
Ich will noch auf eine andere theologische Frage im Umgang mit KI eingehen: Kann sie einen Zugang zum Göttlichen ermöglichen? Auch hier hängt – wie vorher beim Menschen – die Antwort davon ab, was man darunter versteht. Ist mit dem Göttlichen einfach „Transzendenz“ gemeint, also irgendetwas, was mich übersteigt, was größer, im quantitativen Sinne vollkommener, also hier konkret: fehlerfreier und schneller ist als ich? Dann kann ich durchaus sagen, dass KI in den Bereich des Göttlichen reicht.
Aber das ist aus christlicher Sicht doch keine befriedigende Vorstellung vom Göttlichen! Der Hauptstrang der christlichen Theologie geht davon aus, dass Gott eine Person ist. Die biblischen Texte sind voll von Bildern, die Gott so beschreiben: Gott hört und spricht, Gott sieht und schweigt und hilft. Dass Gott Person ist, heißt: Gott ist – wie auch jede menschliche Person – ein unaustauschbares, besonderes Wesen. Gott ist durch nichts Weltliches ersetzbar. Selbst wenn manche Entwicklung mit fast religiösen Heilsversprechen einhergeht: Keine KI kann tatsächlich an die Stelle Gottes treten.
Wir können Gott auch nicht durch Steigerung von Weltlichem erreichen. Es wäre im Übrigen genau die Vergöttlichung von etwas Weltlichem, die uns auch schon an anderen Punkten der Geschichte (ich denke zum Beispiel an die Vergöttlichung von politischen Herrschern) nicht gutgetan hat. Und schließlich: Gott als der ganze Andere lässt sich nicht durch die Wahrscheinlichkeiten der KI errechnen. Gott muss uns begegnen, damit wir ihn erkennen können. Dafür gibt es keine Formel, keine Regel. Wunderbar hat es Emmanuel Levinas formuliert: „Die Beziehung-zu-Gott“ ist „die ursprüngliche Schlaflosigkeit des Denkens“2. Das Denken dämmert dann nicht betäubt vor sich hin, sondern ist wach, neugierig und lässt sich in Bewegung bringen.
Verstehen Sie mich richtig! Ich kann der Unterstützung von kirchlicher Arbeit in bestimmten Bereichen durch KI-Systeme, sei es bei der Verwaltung, sei es bei der Predigtvorbereitung (obwohl ich es dort selbst bisher nicht benutzt habe), durchaus etwas abgewinnen. Aber schon im Gemeindebüro macht es bei einem Anruf im Todesfall einen Unterschied, ob ein Mensch mir am Telefon empathisch Zeit von seiner endlichen Zeit schenkt, oder eine KI, die zeitlich unbegrenzt ist, auf meine Fragen antwortet.
Manche würden sagen: Ja, aber wir werden doch bald schon gar nicht mehr merken, ob uns ein Mensch gegenübersteht oder KI. Aber beachten wir: Hier geht es nicht um das Wesen der KI und was sie kann oder nicht kann. Hier geht es vielmehr darum, wie wir uns selbst als Menschen verstehen wollen und wie wir leben wollen. Selbst wenn wir keinen Unterschied mehr merken würden zwischen einer Predigt, die eine KI hält, und einer Predigt, die ein Mensch hält: Wollen wir eine Kirche sein ohne Menschen, ohne Beziehungen? Wollen wir eine Kirche sein, in der uns nur vorgegaukelt wird, wir hätten einen anderen Menschen vor uns? Oder wollen wir eine Kirche von Menschen sein, in der Menschen einander und Gott begegnen? Für mich leitet sich daraus die ethische Pflicht ab, bei der Verwendung von KI jeweils kenntlich zu machen, was wir vor uns haben.
Selbst wenn KI in einer Predigt irgendwann so tun kann, als stünde dahinter eine individuelle Lebensgeschichte oder eigenes Ringen um den Glauben – es ist schlicht nicht so. Dahinter ist keiner, der mein Ringen kennt. In einer Kirche von Menschen teilen wir unsere Erfahrung von Endlichkeit, Begrenztheit und Sterblichkeit, von Liebe und Glück. Wir kaufen die Zeit aus, werten den einzelnen Augenblick hoch, wie zum Beispiel diese Tage hier in Hannover, weil wir wissen und spüren, wie kostbar sie in unserer begrenzten Existenz sind.
Ich schließe pointiert: Sag mir, was du über KI denkst, und ich sage dir, was du über den Menschen und über Gott denkst.
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1 Klaas Huizing, Art. Levinas, Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Auflage, Bd. 5, 296-297, 297.
2 Emmanuel Levinas, Wenn Gott ins Denken einfällt. Diskurse über die Betroffenheit von Transzendenz, Freiburg/München 31999, 167.
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