Die neue General­sekretärin im Gespräch

Interview

Wurzeln, Gegenwart und Zukunft, erfahren Sie mehr über Kristin Jahn.

Kristin Jahn ist seit dem 1. März 2022 Generalsekretärin beim Kirchentag. In diesem Interview stellen wir die studierte Theologin und promovierte Literaturwissenschaftlerin vor. Das Video zum Interview finden Sie unter dem Text. Sehenswert ist auch der „Fragenhagel“ auf unseren Social Media Kanälen, mit 23 kniffligen Entweder-oder-Fragen an Kristin Jahn. Zum Fragenhagel

Ab sofort sind Sie Generalsekretärin beim Kirchentag. Was bringen Sie mit, gibt es eine Agenda? Was werden Sie beim Kirchentag verändern? 

Ich bringe erstmal eine große Freude an Gremien mit, an der Arbeit mit Ehren- und Hauptamtlichen und am Evangelium, was ich gerne mit den Menschen auf die Straße bringen möchte. Es heißt natürlich jetzt auch in veränderten Zeiten, Dinge zu schärfen, zu profilieren und mit der Herausforderung umzugehen, dass wir hier und da auch in anderen wirtschaftlichen Zeiten stehen. 

Was haben Sie vor Ihrem Amtsantritt beim Kirchentag gemacht? 

Ich war in verschiedenen Pfarrstellen in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland tätig. In Meiningen, Vachdorf und Wittenberg. Ich habe mich dann 2017 dafür entschieden, ganz bewusst in ein mittleres Leitungsamt zu gehen und habe den Altenburger Kirchenkreis als Superintendentin angeleitet.  

Gibt es ein besonders spannendes Ereignis in Ihrer Kindheit? 

Meine ostdeutsche Sozialisation hat es mit sich gebracht, dass man das ostdeutsche Schulsystem durchlitten hat und da habe ich in der dritten, vierten Klasse schon gemerkt: Das ist derart hohl, was die mit uns als Schülern machen und die Meinung entwickelt: "Revoluzzer sein wäre eigentlich schön gewesen."  

Und später, das war für mich ein sehr schöner Moment: Ich habe mit Menschen ein Theaterprojekt auf die Beine gestellt zugunsten der Orgel vor Ort. Wir haben Spenden gesammelt und ich habe dann erstmals mitbekommen: Mit Menschen und mit Worten arbeiten, das ist genau meins und habe mich deshalb für den kirchlichen Dienst entschieden. 

In einem Beitrag über Sie heißt es: „Aufgewachsen mit Blick auf den Förderturm der Wismut“. Welche Rolle spielt für Sie das Altenburger Land? 

Da habe ich immer noch meine Finger drin und sei es mit einem riesengroßen Garten. Nein, Spaß beiseite, das Altenburger Land ist für mich ein Erkenntnisraum, was Krieg und ostdeutsche Geschichte bis heute mit uns anstellt.  

Ich bin mit Blick auf den Förderturm aufgewachsen, weil das das Land meines Großvaters war. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs musste der ostdeutsche Teil Deutschlands Reparationsleistungen an Russland verbringen und man hat eine SDAG Wismut gegründet, eine sowjetisch deutsche Aktiengesellschaft. Wismut war ein Tarnname. Unter dem Land hat Uran-Erz gelegen und das haben die gefördert.  

Mein Großvater konnte sich nicht dagegen wehren. Das war ein Zwangsabverkauf des Landes. Die hätten den sonst eingesperrt. Aber da siehst du mal, wie Kriegsgeschichte immer wieder weiter nachwirkt.  

Dann kam die Wende '89, dieser Betrieb wurde dichtgemacht. Es kam zum Glück eine große Bundesgartenschau. Es wächst jetzt Gras darüber und die Menschen vergessen so schnell. Und für mich ist das ein Brennpunkt, wo sich alles nochmal gebündelt hat, in diesem Altenburger Land. 

Mit wem würden Sie gerne mal einen Kaffee trinken? Und sehen wir diese Person dann beim Kirchentag? 

Eigentlich gerne mal mit Michelle Obama, um sie zu fragen, wann sie endlich kandidiert. Wenn sie Zeit hätte, würde es mich freuen, sie ist ja auch echt eine Powerfrau.  

Sie sind auch Literaturwissenschaftlerin. Haben Sie aktuell ein Lieblingsbuch, welches Sie auf jeden Fall empfehlen würden? 

Ja, ich habe es schon mehrfach verschenkt: "Was man von hier aus sehen kann" von Mariana Leky. Ich fand das sehr berührend, wie sie da eigentlich von Gott erzählt, ohne dieses Wort auch nur einmal in den Mund zu nehmen. Und ich finde das einfach klasse.  

Was war Ihre allererste Begegnung mit Kirchentag? 

Ein Glaubensbekenntnis aus dem Kirchentag von 1983, ein Text, der mich sehr berührt hat und den ich bis heute sehr gerne in Gottesdiensten verwende.  

Und meine erste reale Begegnung mit dem Kirchentag war dann für den Kirchenkreis Wittenberg. Ich hatte die Öffentlichkeitsarbeit und musste damit auch den Stand des Kirchenkreises beim Kirchentag in Hamburg managen. Ich hatte mit meinem Team alles vorbereitet, und sie haben gesagt: "Na mach mal noch die Unterkunft klar." Und dann habe ich Mehrbettzimmer angekreuzt. Es war jedenfalls eine Unterkunft, wo die dann sagten: "Na Kristin, mit 100 anderen in der Turnhalle schlafen wir nicht." Und dann haben wir gesagt: "Ach Gott, was machen wir jetzt?“ Und die Hilfe war da, in Form der Ökumene. Wir sind dann bei einem katholischen Pfarrer ins St. Pauli untergekommen. 

Wie würden Sie Kirchentag in zwei Sätzen erklären? 

Schöpfungs-Chaos, wo du mitwirken kannst und Glaubens-Festival für Suchende. 

Was ist die schönste Erinnerung, die Sie mit Kirchentag verbinden? 

Das war der Eröffnungs-Gottesdienst in Stuttgart und ich sehe das noch vor meinem inneren Auge: Beim Kyrie und bei der Eingangsliturgie war eine Art Balletttänzer an einem ganz großen roten Band und hat sich zwischen Himmel und Erde immer wieder auf und ab bewegt. Das hat mich so gepackt, wie man Kunst, Ballett und Liturgie miteinander so wunderbar verbinden kann. 

Die Losung für den Nürnberger Kirchentag lautet „Jetzt ist die Zeit“ (Mk 1,15). Was bedeutet diese Losung für Sie? 

Wenn man nachschaut, wo sie in der Bibel steht, sagt Jesus: "Jetzt ist die Zeit" und erklärt dann weiter, es kommt etwas viel, viel Größeres als wir das mit unseren Händen je machen könnten, als wir es jemals erlebt haben, eine ganz andere Dimension. Und er sagt das vor dem Hintergrund, dass Johannes der Täufer schon ins Gefängnis gesperrt wurde. Und für mich bündelt sich da gerade etwas in unserer heutigen Zeit, wo die Machthaber so mancher Nationen wieder mit der Angstknute und mit Gewalt gegen Menschen vorgehen, dass wir uns da nicht unterjochen lassen.  

Worauf können sich junge Menschen bei Kristin Jahn freuen? 

Auf knackige, klare Botschaften und Sätze. 

Zum Abschluss ein Blick in die Zukunft: Wie wird ein Kirchentag in 20 Jahren aussehen? 

Ich glaube, es wird immer noch die Versammlung von Menschen sein, die auf der Suche sind nach Antworten auf existenzielle Fragen. Ich sage mal so, die mit beiden Beinen in der Wirklichkeit stehen und nach dem Himmel fragen. 

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