Christina Brudereck, Theologin und Autorin, Essen
Ben Seipel, Musiker, Essen
Guten Morgen!
Am 1. Mai.
Zu einer Bibelarbeit am Tag der Arbeit. In Hannover.
Wo der Kirchentag 1949 begann. Vor 76 Jahren.
Willkommen. Wer auch immer Du bist.
Was auch immer Du glaubst.
Wo auch immer Du Dich befindest
auf Deiner Lebensreise.
Wen auch immer Du liebst.
Ob Du – wie das Motto sagt
*mutig bist oder mutlos.
Dich gerade schwach fühlst oder *stark.
*Beherzt – sind wir alle; wir haben ein Herz.
Und, dass es bei diesem Kirchentag gefüttert wird, wünsche ich uns sehr.
Nochmal: Willkommen.
Ben seipel: Wir sind 2Flügel.
Seit 16 Jahren sind wir gemeinsam unterwegs.
Wir leben in Essen. Und wir lieben Kirchentage.
Christina Brudereck: Der eine Flügel ist das Instrument.
Der zweite Flügel ist unsichtbar.
Wir sagen immer gerne: Wie ein Schwung im Herz.
Vielleicht der Schwung eines Engels.
Wir beide verbinden Lieblingslieder und -geschichten.
(Wer uns kennt, weiß, dass wir sonst
auch schon mal mehr Quatsch machen… ;-)
Heute legen wir gemeinsam einen Bibeltext aus.
Ben ist Musiker. Pianist.
Und hat den Bibeltext mit musikalischen Ohren gelesen.
Ben: Christina hat den Text als Theologin gelesen.
Evangelisch. Reformiert ordiniert.
Zuhause ist sie in der Poesie.
Ich lese vor – den für heute *für uns ausgewählten Bibeltext.
Der Text findet sich auch in der KirchentagsApp.
Aus dem Evangelium Markus. Siebtes Kapitel, die Verse 24 bis 30.
Zuerst einmal als Erzählung im Ganzen.
Dann nochmal, mit Unterbrechungen.
[Bibeltext wird verlesen]
Jesus stand auf und wanderte weiter in das Gebiet der Hafenstadt Tyrus.
Schon die erste Zeile dieser Erzählung
müsste Markus mit einer Triggerwarnung versehen.
Achtung! Jesus ist in Tyrus.
Es gibt Namen von Orten, die weisen über sich hinaus.
Sie sind die Wirklichkeit. Und Zeichen. Chiffren. Sie erzählen.
Allen voran *Auschwitz. Unvergleichlich.
Dann Orte, Namen wie: Hiroshima. Tschernobyl. Srebrenica.
Ground Zero. Kiew. Charkiw.
Wir hören „Solingen“. Mölln. Und haben Bilder vor Augen.
Wir lesen „Mannheim“. Hanau. Kassel.
Unser Text wurde vermutlich verfasst
kurz nach der Eroberung Jerusalems durch die Römer
im 1. Jüdischen Krieg.
Um etwa 70 nach unserer Zeitrechnung.
Markus schreibt sein Evangelium
unter dem Eindruck dieses Terrors.
(Terror: Gewalt in politischer Absicht.)
Wann er schrieb – schwingt mit im Text.
Tyrus triggert.
Erinnert Gewalt und Verwüstung.
Die Zerstörung des Tempels in Jerusalem. Die Massaker an jüdischen Gemeinden.
Jesus wanderte in das Gebiet der Hafenstadt Tyrus.
Tyrus ist eine große Hafenstadt. Inselstadt.
Import, Export. Purpurmarkt.
Schiffe zur Welt. Multikulturell.
Begehrt. Befestigt. Erobert. Belagert. Besucht. Bunt bevölkert. Einflussreich.
Und: *Verstörend.
In Tyrus und der umliegenden Region war es zu Massenmorden gekommen.
Zu Massakernan der jüdischen Bevölkerung.
Kaiser Nero ließ 67 seine Truppen durch Galiläa marschieren.
Dörfer, die sich widersetzten, wurden blutig bezwungen.
(Zahlreiche Städte und Dörfer, in denen auch Jesus gewirkt hatte.)
Der Historiker Josephus schätzt,
dass rund 100.000 galiläische Juden:Jüdinnen getötet wurden
oder in die Sklaverei verkauft.
Tyrus –
die Leser*innen damals werden sofort Bilder vor Augen gehabt haben.
Die Traumata der Gewalt.
Die tief im Körper-Gedächtnis saßen.
Tyrus ist konkret. Und ist eine Chiffre.
Wir meinen mit ihren Namen nicht (nur) die Städte,
sondern das, was dort vorgefallen ist.
Und wir ahnen, dass sich Spuren
von Trauma und Gewalt in Orte einschreiben.
Tyrus.
Mutter und Tochter.
Elterliche und Kinder.
Frauen. Menschen.
Täter*innen. Opfer.
Generationen-Scham.
Angst-Erfahrungen.
Schlafstörungen.
Beim Beginn sind wir in Tyrus.
Hier geht die Geschichte weiter.
Ben © Céline & Ben Seipel
Der Asphalt ist voller Narben.
Viel zu viele, die hier starben.
Was passiert ist, nagt, jagd, klagt mich an.
Gedanken, große Emotionen.
Was passiert ist: Wie Dämonen.
Meine Seele kennt nur finstre Nacht.
Ich werd immer um den Schlaf gebracht.
Als wär da eine Macht, die hält mich wach.
Refrain, Gesang:
Meine Dämonen. Es sind eine Million.
Sie halten mich wach.
Meine Dämonen. Es sind eine Million.
Hör sie schreien in der Nacht.
Meine Dämonen. Es sind eine Million…
Der Text erzählt:
Dort ging er in ein Haus hinein.
Die Lesegruppe
und wir jetzt gehen
mit Jesus an den Ort der Katastrophe.
(Es ist mutig, an Orte der Gewalt zurückzukehren.)
Kommt er unter in einer Herberge?
Mit Fremdenzimmer? Oder mit Gästezimmer?
Besucht er eine jüdische Familie?
*Überlebende? Einen Freund?
Hat Jesus sich selber eingeladen?
Der Text erzählt es uns nicht.
Sagt nur:
Er wollte, dass niemand davon erfahre.
Doch er konnte nicht unbemerkt bleiben,
sondern sofort hörte eine Frau von ihm, deren kleine Tochter
einen unreinen Geist in sich trug.
(Mit einem zerstörerischen Geist zu schaffen hatte.)
Hat das Töchterlein den Schrecken gespürt? Körperlich?
Menschen, die ein Trauma
überlebt haben, lassen uns wissen:
Dass es sie in eine Trance der Angst versetzen kann,
(in einen geisterhaften Ort), an dem sie wieder hilfloses Opfer sind.
Jetzt kürzlich erst, an Yom HaShoa schrieb eine jüdische Freundin.
„Es ist immer ein schwerer Tag. Wir erinnern den Horror.
Und ja noch mehr:
Wir spüren das Gewicht des Traumas, das durch die Generationen weitergegeben wurde."
Und viele erleben es so:
Menschsein ist schwer auszuhalten.
Mit allem, was passiert ist.
Was wir tragen. An Erbe. An Geschichte.
Was wir wissen. Was unser Gewissen sagt.
Was wir alles verdrängen.
Was wir fühlen. Mit Leib und Seele.
Mit der Erde. Mit der Kirche.
Antisemitismus. Rassismus. Sexismus.
Und die damit verbundene Gewalt.
Und Kränkung.
Das Leben kann sehr wehtun.
Vielleicht war die Reaktion des Töchterleins ganz angemessen?!
Ben, instrumental „Maikäfer, flieg“
C: „Schlaf, Kindlein, schlaf“?
Ein Schlaflied? Zur Beruhigung etwa? Passt das?
Ben: Ja, das ist die Wiegenliedmelodie.
Aber ich habe dabei einen ganz anderen Text im Kopf.
Nüchtern erzähltes Grauen.
Ben, Gesang: Maikäfer, flieg. Der Vater ist im Krieg.
Mutter-Tochter-Liebe.
Ben parallel weiter, instrumental 3. Zeile
Trauma-Kind-Beziehung.
Ben parallel weiter 4. Zeile
Dämonische Gewalt.
Ben, Gesang: Maikäfer, flieg. (5. Zeile)
Verzweifelte Ohnmacht.
Ben, Gesang: Maikäfer, flieg. (1. Zeile)
Instrumental: Der Vater ist im Krieg (2. Zeile)
Alles verflogen?
Ben parallel weiter, instrumental 3. Zeile
Noch nicht ganz.
Ben instrumental, 4. und 5. Zeile * Stopp
Die Mutter kam
und warf sich vor seine Füße.
Sie war Griechin, Syrophönizierin der Herkunft nach.
In dieser Stadt, dieser Gegend mit belasteter belastender Geschichte –
ist Jesus zu Gast.
Und eine *Frau besucht den Besucher.
Ihre kulturelle und ihre ethnische Herkunft werden genannt.
Griechin, der Herkunft nach Syrophönizierin.
Nun.
Eine Person kann *gleichzeitig Schwabe, Deutscher und Muslim sein.
Oder: Aus dem Ruhrpott, Europäerin, Christin.
Taxifahrer und gelernter Matheprofessor.
Sauerländer, Bayernfan und Veganer.
Siebenfache Mutter und Präsidentin.
Hausfrau, Hackerin und Klima-Aktivistin.
Buddhistische Brokerin, die Weihnachten feiert.
Sie ist eine Hellenin. Aus Syro-phönizien.
Phönizien: Teil der Provinz Syrien.
Von griechisch φοίνος rot.
Ein Hinweis auf den Purpurhandel dort.
Phönizien. Östliche Mittelmeerküste.
Grob gesagt, das Gebiet von Nord-Israel, Libanon, Syrien.
Ist sie zuhause in Tyrus? Hier im Grenzgebiet?
Wie kommt sie zu Jesus?
Die so andere? In allem so anders?
Was ihr Geschlecht angeht.
Und ihre Religion. Ethnie. Kultur.
Ihren sozialen Status.
Mutter eines erkrankten Kindes.
Vielleicht alleinerziehend.
*Sie überschreitet hier gleich mehre Grenzen.
Wo war sie während des Krieges?
Während der Massaker?
Was hat sie gesehen?
Mit-an-gesehen?
Wo weggesehen?
Was hat sie erlebt?
War sie Mitläuferin?
Täterin?
Selber Opfer?
Und was hat ihr Kind erlebt?
Ihr Töchterlein, ihr kleines Mädchen?
Ben, instrumental: „Maikäfer, flieg“ & Blowin in the wind
The answer, my friend, is blowin' in the wind.
The answer is blowin' in the wind.
Sie fragte ihn, ob er ihre Tochter vom Dämon befreie.
Befreie. Befreie.
Ben: „Steh auf“ © Natasha Hausammann
Die alten Mächte und die Furcht davor.
Es trennt Dich nichts.
Die Grenzen Deiner Kraft, der enge Blick. Da gibt es nichts.
Die Schuld, das Chaos und die Scham dafür.
Sei wieder Licht.
Der tiefe Fall und jeder Fehlversuch. Es trennt Dich nichts.
Steh auf. Und sing! Wach auf.
Die kalten Bilder, jeder tiefe Riss.
Es trennt Dich nichts, es trennt Dich nichts.
Das schwere Erbe, jeder dunkle Traum.
Sei wieder Licht, halt ihn ins Licht.
Steh auf. Steh auf. Steh auf.
SLAM Ben parallel
Befrei mich
Ich weine
Tränen auf Steine
Alle Wände schreien
Niemals Pausen
Überall diese Schatten
Sie hausen
In tiefen Schluchten
Schluchzen
Geistern über den Gräbern
Spuken durch mein Herz
Alles in Trümmern, Brüchen, Wunden
Befrei mein Kind
Von dieser Last
Dem Gift, dem Hass und der Angst
Die mich packt
Die ich nicht fass
Befrei mich, befrei mein Kind
Aus der Vergangenheit
Der Besessenheit
In mir schreit
Alles –
Nach einer neuen Zeit
Genug ist genug
Ich bin genug
Und ich bin bereit
Ben: Nachklapp, instrumental
„Steh auf“, zwei Zeilen
Die alten Mächte und die Furcht davor. Es trennt dich nichts.
Da sagte er zu ihr:
»Lass erst die Kinder gesättigt werden, denn es ist nicht gut,
das Brot der Kinder zu nehmen
und es den kleinen Hunden hinzuwerfen.«
„Jesus??!
Geht’s noch?“
War meine erste Reaktion.
Aber ja: Jesus hat mich schon oft genervt.
Mit seiner Art. Der Störenfried.
Was er zum Thema Geld sagte,
zum Teilen, Abgeben und Annehmen.
Wie radikal er Gemeinschaft lebte.
Sich ab und zu zurückzog in die Stille, um dann immer wieder
mit Menschen zusammen zu sein.
Wie autark er war.
Nicht zu vereinnahmen.
Und wie verbunden er sich wusste.
Dass er seiner Erzählgemeinschaft
treu blieb, seine Tradition würdigte
und gleichzeitig auf so eigene Art auslegte.
Dass ihm die Wege nicht zu weit waren. Und die Arbeit nicht zu viel.
Dass er nicht verheiratet war.
Keine eigenen Kinder hatte.
Und wie familiär er dabei sein konnte.
Was er alles wusste.
Und was er alles vergessen konnte!
Dass er kein Zuhause hatte
in dieser Welt.
Auf Gastfreundschaft angewiesen. Keinen festen Wohnsitz.
Keine Kirche gebaut hat.
Geboren auf der Reise. Gestorben zwischen Himmel und Erde.
Begraben in einem Grab, das ihm nicht gehörte.
Wie er die *Liebe immer, immer wieder
in den Mittelpunkt rückte.
Ja, es für möglich hielt, dass wir lieben können.
G-tt, die anderen, wie uns selbst.
Und auch dann noch, wenn sie uns feindlich sind.
Wie er einfach nicht aufhören wollte, für seine Themen einzustehen.
Gegen Angst. Hartherzigkeit.
Für die Armen. Außenseiterinnen.
Wie er mit Kindern umging. Mit Frauen. Mit Männern.
Wie er sich anlegte mit den Stärksten.
(Wie wollten sie so sehr, dass er verstummt.)
Selbst seinen engsten Vertrauten wurde es manchmal zu viel.
Dieser Idealist. Rabbi. Liebhaber. Geschichtenerzähler. Seelenfreund. Gottes Ikone.
Und jetzt das hier?!
„Jesus“, protestiere ich:
„So kenn ich Dich gar nicht?!
Ich nenn Dich immer den Charmanten. Zuvorkommenden.
Und hier bist Du so engstirnig.Beleidigend.
Du sagst so demütigende Worte. So rassistisch.
Ist das ein ‚Jews first‘. Really? So ablehnend?“
Das darf so nicht stehenbleiben.
Tut es auch nicht!
Denn die *Frau bleibt. Stehen. Standhaft.
Widerspricht.
Aus ihrer Sicht.
Unterbricht.
Lässt sich !nicht – abspeisen.
Besticht mit weisen klaren Worten.
Im Text:
Aber sie antwortete
und sagte unerschrocken zu ihm:
»Lehrer, auch die kleinen Hunde
unter dem Tisch essen von den Brotkrümeln der Kinder.«
Ja! Mutig, stark, beherzt – ist diese Frau.
Sie hat Mut zum Widerspruch. Sie weiß um ihre Stärke. Sie hat ein Herz, das trotzt.
(Ob sie selbst sich mutig fühlte, stark und beherzt in diesem Moment?
Das wissen wir nicht. Wir kennen nur uns selbst.
Vielleicht war ihr auch ganz flau. Doch sie überwand sich.)
*Ich feiere sie! Und verneige mich vor ihr.
Ich bin so froh,
dass uns ihre Geschichte überliefert ist.
Dass sie zu unserer *Bande gehört.
Ich liebe, wie aktiv sie ist. Keine Bittstellerin nur.
Ja, sie ist unerschrocken. Und so schlau!
Sie argumentiert richtig gut. So eine coole Theologin.
Avantgarde.
Sie in unserer Erzählgemeinschaft zu wissen, ist ermutigend.
Ich feiere sie und ihre Kreativität.
Wie sie die beschämende Bezeichnung „Hündin“ nicht hinnimmt.
Sondern wandelt, umdreht.
Wie sie die tierisch kränkende Metapher nicht akzeptiert, sich nicht ausgrenzen lässt.
Sondern sie zur Grundlage ihres Anspruchs macht. So gewitzt!
Ich feiere ihre Widerständigkeit. Die auch Jesus beeindruckt.
Ich jubiliere, wie sie ihn gewinnt.
Weil ich weiß: Wir brauchen Mut. *Wir werden viel Mut brauchen. Stärke und Herz.
Ich bin auch froh, dass uns diese Geschichte erzählt:
Wie *Jesus – zuhört. Und lernt.
Sich herausfordern lässt.
Seine Meinung berichtigt.
Er redet sehr hart, ist dabei aber offen. Interessiert, gesprächsbereit.
Ich feiere ihn. Wie er seine Haltung tatsächlich ändert.
Wie er seinen Horizont erweitern lässt.
(In keinem anderen Streitgespräch ist Jesus der Unterlegene.
Sonst ist er es, der überzeugt.)
Wie er sich helfen lässt. Von dieser Frau. Zurechthelfen lässt.
Mut. Mutter. Am Muttesten. Diese Frau!
Mit ihrer schlagfertigen Antwort.
Sie fordert Jesus heraus – und er – lässt es zu.
Sie bewegt ihn, umzudenken.
Und er denkt um. Und gibt es zu!
Und handelt, spricht jetzt anders. Yes!
Ich bin froh, dass uns die Begegnung dieser beiden überliefert ist.
Hier sprechen zwei Menschen miteinander.
Ungläubig lese ich diese Geschichte.
Überrascht bin ich –nicht von der Klugheit der Frau.
Ich kenne eine Menge kluge Frauen.
Menschen, die sich im weiten Spektrum von Frau-Sein verorten.
Mich verwundert – der lernende Mann.
Natürlich.
Denn ich habe zurzeit viele Herren vor Augen, die nicht hinhören. 2025.
Die Herren Präsidenten.
Der amerikanische. Der russische. Der türkische. Der indische Premier.
Die nicht mitfühlen. Sich nicht unterbrechen lassen.
Die keinen Rat, keine Statistik, kein Argument, keine Vernunft annehmen.
Die alles beherrschen wollen. (Außer sich selbst.)
Zum Vergleich:
Ich sehe den amerikanischen Präsidenten.
Wie er den *Rosengarten vom Weißen Haus betritt.
Mit schwerem Gang. Dunklem Mantel. Einer, der gefürchtet werden will.
Das ist Macht, die sich gnädig stimmen lässt.
Vorübergehend. Vielleicht. Eventuell.
Und ich sehe den friedefürstlichen Jesus.
Wie er im Garten Gethsemane betet.
Einer, der seine Angst überwindet mit Liebe.
Das ist Gnade, die mächtig ist. Verlässlich.
Und noch mehr:
Ich staune über das Gelingen dieses Gesprächs überhaupt.
Der Text überliefert große Lebensweisheit.
Etwas zutiefst Menschliches und Heiliges:
Geschichten zu erzählen, in denen die Wertschätzung des Eigenen und der „Anderen“
eine wichtige Rolle spielen darf.
So aktuell, hm?
Wir müssen dringend bessere Wege finden, nicht einer Meinung zu sein.
Anfang Mai 2025 lese ich unseren Text mit der Frage:
Wie gehen wir mit Gegensätzen um?
Mit Ambiguität?
Zwiespalt. Widersprüchen. Verschiedenheit?
Gesellschaftlich? Kirchen-politisch? Und persönlich?
Wie war das denn nun möglich? In diesem Grenzgebiet?
Dass die beiden so zueinander fanden?
Es ist der Austausch über *Brot, der die Grenzen überwindet.
Das ist eine Entdeckung für mich.
Unser Text erzählt:
Der Austausch über Brot macht das Gespräch möglich. Brot.
Ben, Medley:
Let us break bread together
Brich mit dem Hungrigen Dein Brot
Du bist heilig, Du bringst Heil
Ich liebe Religion,
die spirituellen Texte, die Rituale und die Bibel dafür,
wie die so oft scheinbar widersprüchliche Bedeutungen zusammenhalten.
Wie eben Brot.
Brot ist in der jüdischen und christlichen Tradition etwas zutiefst Positives.
(Und natürlich weit darüber hinaus.)
Brot ist Leben. Versorgung.
Gnade.
Vom Brot des Aufbruchs.
Bread of affliction.
Manna in der Wüste
Bis zur Bitte ums tägliche Brot.
Beim Beginn war G-tt.
Die Quelle von allem, was ist.
Und G-tt sprach: „Es werde Brot!“
Und die Menschen pflanzten.
Beteten um Regen.
Sangen Lieder auf das Korn.
Brachten die Ernte ein.
Droschen das Korn. Mahlten das Mehl.
Kneteten den Teig. Machten Feuer.
Und die Luft füllte sich
mit dem Duft frischen Brotes.
Und es ward Brot.
Brot. Leben. Geschenk.
Und! es gibt Ausnahmen.
Einmal im Jahr!! Kurz vor Pessach. Ändert sich der Blick auf Brot.
Auf gesäuertes Brot.
Es wird jetzt nicht nur gemieden.
Sondern aktiv gesucht im ganzen Haus und *entfernt.
Brot wird entfernt!
Das gesäuerte Brot,das sonst für Fülle und Segen steht,
ist auf einmal – einmal!! – ein Hindernis.
Jetzt, für die Feier gibt es nur das ungesäuerte Brot, Mazza.
Eine Art Knäckebrot. Das Zeichen der Freiheit.
Sauerteigbrot braucht Zeit. Im Alltag alltäglich ist das gut.
Aber zum Pessachfest, in der Erzählung von der Befreiung
gibt es kein Warten, kein Aufgehen des Teigs,
sondern der Aufbruch ins Neue ist *jetzt.
Ungesäuertes Brot ist ein Produkt, ein Symbol der Eile.
Bei der Flucht aus Ägypten war keine Zeit, den Teig gehen zu lassen.
Beim Pessachfest wird nur ungesäuertes Brot gegessen.
Brot aus Wasser und Mehl. Das nicht länger als 18 Minuten gebacken sein darf.
Vor dem Pessachfest wird das Haus gereinigt.
Alles Sauerteigbrot, jeder Krümel weggefegt.
Alle gesäuerten und gegorenen Produkte, „Chametz“ genannt.
Alle Nahrungsmittel, die Weizen, Hafer, Roggen, Gerste oder Dinkel enthalten.
Brot. Nudeln. Kekse. Pizzateig. Kuchen. Und sogar Bier.
Die spirituelle Übung ist, zu fragen:
Was hält mich noch? Welche Gewohnheiten?
Nicht nur das Haus, das Herz wird durchsucht.
Brot symbolisiert auf einmal schlechte Neigungen.
Sauerteig ist ja aufgegangen.
Die Chametz-Frage heißt: Wo sind wir aufgeblasen, hochmütig?
Mit den Jahren wurden die Sauerteig-Krümel so ein Symbol
für Arroganz und Nachtragendsein.
Das Verschwinden der Brotkrümel läutet die Befreiung ein.
Nicht, weil Brot „böse“ ist –
nach dem Fest sind Kekse, Teig und Bier wieder da!
Sondern, weil in diesem Moment Brot eine andere Bedeutung bekommt.
Ja, es kam sogar mal die Frage auf:
Wenn Brot mit negativen Attributen verbunden ist, warum sollte es jemals erlaubt sein?
Sollte dann nicht besser das ganze Jahr über nur ungesäuertes Brot gegessen werden?
Aber nein. Halten wir es aus. *Brot ist mehrdeutig!
Ein Hoch auf die Ausnahme von der Regel.
Auf das Gesetz, für den Menschen da.
Die Weisung, ausgelegt mit Güte.
Das Übliche, angereichert mit Unüblichem.
Brot ist mehrdeutig.
Je nach Sorte, je nach Jahreszeit, gut oder so nicht.
So schön mehrdeutig:
In der Pessach-Tradition werden die Krümel *entfernt.
So beginnt das Fest der Befreiung.
Die Syrophönizierin weiß, dass *Brotkrümel satt machen.
Es sind genau die Krümel, *die da sind, die ihre Befreiung bedeuten.
Zwei Befreiungserlebnisse,
die beide mit Brotkrümeln zu tun haben.
Ich liebe, ich feiere diese Geschichte für die Spannungen:
Eine Frau spricht mit einem Mann.
Eine Griechin mit einem Juden.
Die aus der Gegend mit einem Besucher.
Die Mutter der Tochter mit einem, der vor allem Sohn ist.
Es ist wie eine Wiegenliedmelodie mit krassem Text.
Ich feiere diese Geschichte, weil sie zwei Fragen gleichzeitig zulässt:
In zwei unterschiedliche Richtungen.
Musst Du Altes loslassen? Gewohnheiten? Überzeugungen?
Um neue Möglichkeiten zu sehen? Wie Jesus: Eine neue Sicht gewinnen.
Oder:
Musst Du beharren? Einstehen für Deine Überzeugung?
Insistieren. Trotzen. Dich nicht einschüchtern lassen.
Wie die Mutter: Bestehen auf Deine Hoffnung.
So eine schöne Dynamik.
Wann ist Loslassen geboten?
Wann ist Bestehen heilsam?
Ist es notwendig, etwas Altes auszuräumen?
Oder wendet es die Not,
wenn Du entdeckst, dass noch die Krümel eine überraschende Form von Segen sind?
Ach! Jesus wird wieder Kumpane. Cum, mit. Pane, Brot.
Wird zu einem, der Brot *teilt. Die Frau zur Kum-Panin.
Wundervoll.
Es war so:
Die Vorbereitung für den Kirchentag fiel bei mir in die Fastenzeit.
Die Wochen vor Ostern und Pessach.
„Bedikat Chametz“, die Suche nach Sauerteig,
dieses Ritual wird traditionell in der Nacht vor Pessach durchgeführt.
Nach Sonnenuntergang.
Es ist eine symbolische Prüfung.
Es gibt dafür extra zeremonielle Utensilien.
Sie verleihen dem Ritual etwas Geheimnisvolles.
Im Dunkel wird gesucht.
Nicht mit Taschenlampe oder Tischstaubsauger.
In Erinnerung an die Vorfahrinnen mit einer Kerze.
Und einer Feder, oder einen besonderen Pinsel,
um die Krümel wegzufegen.
Eine Freundin (und Lehrerin von mir) die Rabbinerin Jill Hammer erzählte:
„In meiner Familie feiern wir das Ritual so:
Wir bestimmen ein Familienmitglied,
10 Stück Chametz, Sauerteigbrot, im ganzen Haus zu verstecken.
Dann wird gesucht.
Die Kinder sind besonders begeistert von dieser Aktion.
Wir verstecken mit dem Chametz lustige Notizen, Komplimente oder Zitate.
Damit die Suche amüsant wird.
Damit wir selber freiwerden vom Übersauren.
Wir suchen Krümel. Und es ist ein Fest.“
Ich las „Krümel“ im Kirchentagstext.
Und las „Krümel“ im Pessachtext.
Und ich dachte: Wer weiß?
Vielleicht erinnerte sich Jesus an Chametz?
(Als diese Mutter hier von Krümeln sprach.)
Vielleicht dachte er zurück daran:
Wie er als Kind Pessach gefeiert hat.Und als Jugendlicher.
Wie Josef das Haus putzte.
Wie Maria den alten Text vorlas:
„Feiere das Pessachfest
für Adonaj, deine Gottheit,
denn sie führte Dich nachts aus Ägypten.
Iss sieben Tage lang
kein aufgegangenes Brot dazu,
sondern Mazzen, das Armenbrot.
Schließlich bist Du
überstürzt aus Ägypten ausgezogen.
Denke Zeit deines Lebens daran.”
(Deuteronomium 16, 1-3)
Vielleicht erinnerte sich Jesus.
Wie er feierte als Erwachsener.
An das knackende Geräusch von Mazza.
Das Geräusch, das klingt wie ein Knacks.
An unsere Zerbrechlichkeit erinnert.
Vielleicht dachte er daran, wie wir Brot brechen.
In einer zerbrochenen Welt. Gebrochenen Herzens.
Vielleicht dachte er an Sauerteigbrot?
An diese Ausnahme?
Dass Brot auch Aufgeblasenheit symbolisieren kann? Hochmut?
Und die Erinnerung – bewegte ihn? Wer weiß?
Wie gehen wir um – mit Ambiguität?
Mit Verschiedenheit? Gegensätzen. Widersprüchen.
Wie?
Die Spur des Textes sagt:
Wir suchen die Gemeinsamkeit.
Und sei sie noch so klein.
Die Stärke einer Frau, die für ihr Kind kämpft. Die sagt:
„Die Hunde bekommen aber doch die Krümel.“
Die Erinnerung von Jesus.
An Krümel und Überheblichkeit.
An die Stärke eines alten Rituals.
Das Gemeinsame sind die Krümel.
Oder anders:
Noch die krümeligste, kleinste Gemeinsamkeit verbindet.
Brot verbindet.
Mazza. Manna, vom Himmel. Krümel, vom Tisch.
Zwei so Verschiedene, die zwei Menschen sind,
die sich auf ein Gespräch einlassen,
bewirken gemeinsam ein *Wunder.
Ich denke nicht an „kleinsten Nenner“.
Ich denke an das, was uns zu Menschen macht.
Menschlichkeit, die Verbundenheit sucht.
Die vertraut: Liebe ist stärker.
Als die Kräfte der Spaltung.
Wir stehen zusammen. Und gehen den Weg der Weisheit.
Wir können üben, zu sagen:
Dein Weg ist nicht derselbe wie meiner. Mein Weg ist nicht der Deine.
Aber wenn wir uns unterwegs begegnen, können wir uns gegenseitig ermutigen.
Einander zurechthelfen. Guttun.
Judentum wie Christentum (und darüber hinaus weitere)
kennen die Idee,
dass das scheinbar Kleine, Unwichtige,
große Bedeutung haben kann.
Das Töchterlein. Das Mädchen.
Kindchen und Hundchen.
(Beide im Text in Verniedlichungsform.)
Das Bedeutendste in der Geschichte ist das Kleine. Töchterlein.
Die Zukunft der Kinder.
Es geht um die ganz Kleinen.
Die alle Hunger haben im Krieg.
Denen Brot fehlt.
Und Schule: Lesen, schreiben, malen, singen und Mathe.
Denen Leichtigkeit fehlt.
Und Schlaf, ohne Alarm in der Nacht.
Kinder in Kiew haben das Recht zu leben.
Die Bibas-Kinder hätten leben sollen.
Israelische Kinder haben das Recht zu leben.
Palästinensische Kinder.
*Alle Kinder haben das Recht zu leben.
Die eigentliche Hauptperson ist das Kind.
Als U2-Fan dachte ich dabei
auch an "Crumbs from your table”.
Bono singt in diesem Lied davon,
dass die reichen Länder nur Brosamen abgeben
von ihrem überreich gedeckten Tisch.
Ben, Gesang: „Crumbs from your table“ © U2
You speak of signs and wonders.
I need something other.
I would believe if I was able.
But I'm waiting on the crumbs from your table.
Mit unserem Text rufen die Kinder dieser Welt:
Ben: You speak of signs and wonders.
Zeichen und Wunder?
Ben: I need something other.
Ich brauch was anderes.
Ben: I would believe if I was able.
Ich würd vertrauen,
wenn ich könnte.
Ben: But I'm waiting on the crumbs from your table.
Ich warte auf Krümel von Deinem Tisch.
Bei allem Schrecken:
Die Geschichte weiß von großem Vertrauen.
Die Frau unterbricht die folgenreiche Geschichte des Ortes.
Die Heilung beginnt mit dem Moment, als sie für die Zukunft kämpft.
Für die kommende Generation. Für neue Zeit.
Die Geschichte weiß von wirkmächtiger Hoffnung.
Von Trotzkraft. Und von *Liebe.
Ja, ich feiere die Geschichte auch
für ihre große *Mutterliebe.
(Ich bin selber leider keine Mutter. Aber ich bin Tochter einer Mutter.)
Ich feire die Mutterliebe, die alles gibt.
Die sich traut.
Die größer ist als Scham und Angst.
Die Grenzen überwindet.
Die mütterliche Liebe, die für das Leben kämpft.
Für Befreiung.
Ben, Gesang: Unafraid © Amy Grant
My lovely mother is getting on in years.
And the way her body's aging brings her girls to tears.
The way she trembles with each effort she makes.
She just says „Heaven's getting closer each day“.
'Cause love has made, love has made, love has made,
has made her unafraid.
Love could make. Love can make. Love will make. Make you unafraid.
Ben paralell weiter
Da sprach er zu ihr: »Wegen dieser Antwort geh hin!
Der Dämon hat Deine Tochter freigegeben!«
Und sie ging weg in ihr Haus
und fand das Mädchen, wie es auf dem Bett lag, befreit vom Dämon.
Befreit – können wir mutig sein.
Geliebt – können wir stark sein.
Verbunden – werden wir beherzt sein.
Mutig. Stark. Beherzt. Mögen wir, mögen unsere Begegnungen sein.
Segen
Ich wünsche uns unerschrocken Mütterliche zur Seite.
Und lernfähige Kumpanen.
Und die Ewige.
Sie segne uns.
Mit Hunger. Nach Gerechtigkeit. Nach Begegnung.
Segne uns mit Brot, das uns satt macht.
Die Lebendige segne uns mit Krümeln.
Kleinsten Zeichen von Hoffnung.
Mit den Resten. Den heiligen Spuren im Unscheinbaren.
Segne uns mit Mut, der Grenzen achtet und überwindet.
Und Vielheit umarmt.
Der G-tt des Brotes,
die G-ttheit der Krümel, begleitet Dich.
G-tt der Kinder und der Fremden, sie hält uns alle miteinander.
Die Ewige, die uns herausfordert und uns heilt, segnet Dich.
Liebe könnte uns die Angst nehmen.
Liebe kann uns mutig machen.
Liebe wird uns beherzen.
Ben, Gesang:
Love could make. Love could make.
Love could make. Could make you unafraid.
Gesang mit allen:
Love could make. Love could make.
Love could make. Could make you unafraid.
Love CAN make you unafraid.
Gesang mit allen:
Love can make. Love can make.
Love can make. Can make you unafraid.
Ben: Moderation: Love WILL make US unafraid.
Gesang mit allen:
Love will make. Love will make.
Love will make. Will make us unafraid. (2x)
Liebe *wird uns mutig, stark, beherzt machen.
Amen. Es werde wahr mit uns.
© 2Flügel, Frühjahr 2025
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.