Prof. Dr. Dr. h.c. Margot Käßmann, Bischöfin i.R., Hannover
Zunächst einmal: Ich bin nicht Eckart von Hirschhausen ;-)! Wir haben die Tage im gedruckten Programm getauscht, weil Eckart von Hirschhausen heute anderweitige Verpflichtungen hat. Allerdings: Der Tausch ist mir schwergefallen. Der Text für die Bibelarbeit gestern schien mir so gut zugänglich: Der Prophet Jeremia schriebt an die Verschleppten im Exil. Sie trauern um den Verlust der Heimat. Und der Prophet Jeremia ermutigt sie: Da wo ihr seid, gründet Familien, baut Häuser pflanzt Bäume.
Beheimatet euch in der Fremde!
Aber Herausforderungen bringen uns ja stets weiter. Wir haben es heute mit einer biblischen Passage zu tun, bei der es um die Auferweckung bzw. Auferstehung Jesu geht. Und das ist zentral für den christlichen Glauben! Ohne den Glauben an die Auferstehung wäre die Geschichte des Jesus von Nazareth zu Ende gewesen. Seine Schülerinnen und Schüler hätten sich enttäuscht verstreut, er war tot, die Mission gescheitert. Kein Pfingsten, keine Geisteskraft, keine Kirche. Aber „auferweckt von den Toten“ – können wir das wirklich glauben? Oder ist das nicht mit Karl Marx gesprochen „Opium des Volkes“, eine Hoffnung, mit der wir Christinnen und Christen uns betäuben mit Blick auf ein geglaubtes Jenseits, weil wir all den Unfrieden und das Unrecht in dieser Welt nicht ertragen? Und was überhaupt bedeutet Auferstehung? Der Erzählung des Evangelisten Matthäus will ich gern mit Ihnen und euch allen heute Morgen nachgehen. Aber lasst uns erst einmal singen!
"Alle Morgen…" alle vier Strophen
Bibelarbeit Teil 1
Den biblischen Text lese ich in der Übersetzung Martin Luthers, revidierte Form von 2017. In Ihren Programmen sehen Sie auch die Übersetzung für den Kirchentag, den Exegetinnen und Exegeten eigens erstellt haben, auch mit Blick auf die Sichtbarkeit von Frauen und die jüdische Tradition. Zudem ist abgedruckt eine Übersetzung in „leichter Sprache“. Nun aber die Fassung nach Martin Luther.
Wir müssen uns erst einmal klar machen, in welcher Zeit das Matthäusevangelium niedergeschrieben wurde. Manche hatten von Jesus zu dessen Lebzeiten erhofft, er würde zu einem Aufstand gegen die Unterdrückung durch Rom aufrufen. Aber er blieb dabei: „Selig sind, die Frieden stiften!“ und „Liebet eure Feinde“. Doch der Aufstand Israels gegen die römische Besatzung, die so viel Unterdrückung mit sich gebracht hatte, ließ sich offenbar nicht aufhalten. Er begann im Jahr 66 nach Christus und endete mit dem Sieg der Römer, der die Zerstörung Jerusalems und auch des für Israel so bedeutsamen Tempels im Jahr 70 nach Christus mit sich brachte. Zuletzt wurde auch noch der Widerstand auf der Bergfestung Masada 74 nach Christus zerschlagen.
All das lastet auf den Überlebenden in der Zeit, in der das Matthäusevangelium geschrieben wird. Hunderttausende Tote gab es, endlos viele Flüchtlinge, die vor allem in Syrien Schutz suchten, dort aber angefeindet wurden. Das Volk Israel war vertrieben aus dem eigenen Land und traumatisiert. All das mutet traurig aktuell an, wenn wir an die Ukraine, Israel und Gaza, den Kongo, den Jemen, den Sudan denken. Immer wieder Krieg, Zerstörung, Vergewaltigung, Flucht und Hoffnungslosigkeit…
In Syrien, unter den Geflüchteten und Angefeindeten entsteht im Jahr 80/90 unserer Zeitrechnung das Matthäusevangelium. Der Verfasser ist unbekannt, aber das Evangelium wird erst nachträglich nach Matthäus benannt, damit er als einer der Jünger von Jesus identifiziert wird und das dem Text Autorität gibt. Auf jeden Fall lebt er in Syrien unter denjenigen, die Jesus gefolgt waren bzw. an ihn glaubten. Sie verstanden sich weiterhin als Jüdinnen und Juden. Jesus war für sie der Messias, der Gesalbt der Christus. Doch da gab es natürlich kritische Fragen: Eine Heilszeit ist doch gar nicht eingetroffen, vielmehr eine Katastrophe! Wie lässt sich das erklären? War der Glaube an Jesus ein Irrweg? Deutlich wird: Der Autorist Jude, ihm liegt an jüdischer Tradition und der Tora-Treue Jesu1 Aber er grenzt sich ab gegen die jüdischen Autoritäten. Die Verkündigung Jesu gilt weit über Menschen jüdischer Herkunft hinaus. So dienten Passagen aus dem Matthäusevangelium einem Antijudaismus des entstehenden Christentums. „Aus dem Tora-Lehrer Jesus wurde der Bringer eines neuen Gesetzes“2. Allerdings, so noch einmal der Neutestamentler Peter Fiedler, ist Matthäus „für diese Wirkungen nur eingeschränkt verantwortlich zu machen. Denn die Bestreitung, dass der von Gott gestiftete und garantierte Heilsstauts des jüdischen Volkes fort besteht, lag außerhalb seines Vorstellungsvermögens.“3 Das ist wichtig in einer Zeit, in der Antisemitismus wieder um sich greift: Wir müssen unsere Bibel immer wieder kritisch lesen und vor allem auch kritisch schauen, wie sie wann rezipiert wurde …
In jener Nachkriegssituation voller Angst und Traumata jedenfalls entsteht unser Text. Anders als es Markus erzählt, gehen bei Matthäus nur zwei Frauen zum Grab, beide heißen Maria. Der Neutestamentler Peter Fiedler meint, es sei nicht der Morgen, an dem sie zum Grab aufbrechen, „sondern – gemäß jüdischer Tageseinteilung den Samstagabend, wenn mit dem ‚Aufleuchten‘ der Sterne ‚der erste Wochentag‘ beginnt.“4 Mir scheint dennoch eher einleuchtend, dass es der Morgen nach dem Schabbat war, wie andere Exegeten erklären. Für beide Frauen war das Risiko ohnehin hoch, zum Grab zu gehen. Wenn schon, dann doch eher nicht am Abend, sondern am frühen Morgen in der Dämmerung nach dem Schabbat. Der Abend war und bleibt gefährlich für Frauen, die allein unterwegs sind …
Beide Marias hatten die Hinrichtung von Jesus ebenso wie die Bestattung Jesu durch Josef von Arimathäa als Augenzeuginnen erlebt, das wird im Kapitel 27 erzählt. Und ihnen war klar, dass das Grab bewacht wird. An dieser Stelle muss ich immer an eine Karikatur von Gerhard Mesters denken. Da sagt der eine römische Wächter: „Eine Leiche bewachen, damit sie nicht abhaut!! – Das ist der bekloppteste Befehl, den ich je bekommen habe …!“ Der andere sagt: „Nicht denken, Cuianus! Einfach nur gehorchen!!“5 Und in der Tat: Warum eine Leiche bewachten?
Auf jeden Fall sind die beiden Frauen enttäuscht, verzweifelt, niedergeschmettert – so wie das ganze Volk Israel zur Zeit der Entstehung des Matthäusevangeliums. Und doch machen sie sich auf zum Grab, wenn auch gewiss nicht voller Euphorie und mit fröhlichen Blumensträußen. Bei Matthäus ist anders als bei Markus auch nicht davon die Rede, dass sie den Leichnam salben wollen. Immerhin, es gibt ein Grab – das ist Josef von Arimathäa zu verdanken. Andere Gekreuzigte wurden zur Abschreckung am Kreuz hängengelassen, die Krähen fielen über sie her, der Körper verdorrte und verfaulte.
Die beiden Marias wollen Jesus die Ehre erweisen, die nach jüdischer Tradition Verstorbenen durch einen Besuch am Grab am dritten Tag zuteil werden soll. Es ist der Tag nach dem Schabbat. Wir wissen über diesen Schabbattag nichts, da schweigen alle Evangelien. Aber wir können uns vorstellen, wie das war bei denen, die Jesus gefolgt waren. Schockstarre, fassungsloses Schweigen, Weinen über den Verlust dieses wunderbaren Menschen, Angst, verfolgt zu werden. Der Karsamstag wie wir ihn nennen, war ein furchtbarer Tag.
Aber dann brechen Frauen auf, das berichten alle Evangelien. Nichts gegen Männer, aber mutig sind hier die Frauen wohlgemerkt! Der erste Tag nach dem Schabbat – das erinnert an die Schöpfung Gottes, der erste Tag, aus dem Chaos entsteht neues Leben, Lebensraum. Es ist ein Tag des Neubeginns, der Hoffnung.
Die beiden Marias erleben am Grab ein Beben – ein Symbol dafür, dass die göttliche Welt in unsere Erdenwelt kommt. Sie finden einen Engel vor, der den Stein wegwälzt, die Wachen sind ohnmächtig. Da Ostern auch mit Lachen zu tun hat, sei noch eine zweite Karikatur von Gerhard Mesters erwähnt. Da zeigt der Vorgesetzte der beiden Wachen auf das geöffnete Grab und brüllt seine Leute an: „Wisst ihr, was das bedeutet, ihr Penner!?! Da machen diese Jesus-Leute ´ne Riesengeschichte draus! Da können wir in Rom mit unserem Jupiter einpacken…!!!“6
Tja, was sollen sie gegen ein Beben Gottes und einen Boten Gottes auch ausrichten die beiden armen römischen Soldaten? Da haben sie keine Chance. Klar, dass sie in Panik geraten. Erstaunlicherweise tun die beiden Frauen das nicht. Von Panik keine Rede. Auch nicht davon, dass sie Fragen stellen. Sie hören sich schlicht die Botschaft an, die ihnen da vermittelt wird.
Wer war der Engel? Rudolf Otto Wiemer hat so schön gesagt, es müssen nicht Männer mit Flügeln sein, die Engel. Eine weise alte Frau vielleicht? Ein Mann, der mit den heiligen Schriften vertraut war? Ein Mensch, der Hoffnung hat, Gelassenheit, einen weiten Blick auf das große Ganze? Auf jeden Fall bleiben beide Marias bei ihrem Gottvertrauen. Sie rennen nicht in Panik davon, sie sagen nicht, das sei Unsinn, den niemand glauben könne. Sie lassen sich schlicht ein auf die Botschaft.
Das Festhalten an Gottvertrauen in schwerer Zeit vermittelt eindrücklich ein Lied, das der jüdische Theologe Shalom Ben Chorin gedichtet hat. Von den Nazis bedrängt verließ Fritz Rosenthal 1935 mit 22 Jahren Deutschland und ging nach Jerusalem. Er änderte seinen Namen in Schalom Ben-Chorin: Friede, Sohn der Freiheit. 1942 während die Shoah tobt, dichtet er:
Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht in Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?
Dass das Leben nicht verging, so viel Blut auch schreit, achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit.
Tausende zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht. Doch des Lebens Blütensieg leicht im Winde weht. Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt, das bleibt mir ein Fingerzeig für des Lebens Sieg.
Angesichts des Massenmordes an den europäischen Juden erscheint das Lied naiv, weltfremd, als ob es das Leid ignoriere. Aber das tut es eben nicht. Es zeigt die trotzige Hoffnung, dass Gott nicht abwesend ist, damals Jesus und heute uns nicht verlassen hat, auch wenn der Anschein so sein mag. Der Musiker Fritz Baltruweit, mit dem ich viele schöne Gottesdienste gestalten durfte, hat die Melodie zum Text geschrieben. Er hat einmal erzählt, dass er Shalom Ben Chorin in Jerusalem besuchte. Da habe der erzählt, der Mandelbaum, der ihn inspiriert habe, sei eines Tages umgehauen worden, Platten wurden gelegt. Doch eines Tages hätten sich die Triebe des Baums wieder durch die Platten gezwängt. Shalom Ben Chorins Kommentar dazu war: „Die Hoffnung ist nicht totzukriegen“. Wie passend ist das!
Lasst uns also miteinander singen.
„Freunde, dass der Mandelzweig“ alle vier Verse
Bibelarbeit Teil 2
Für die Frauen hat der Engel eine klare Botschaft: „Er wurde auferweckt.“ ‚In der Übersetzung für den Kirchentag steht da anders als bei Luther ein Verb im Passiv. Nicht er ist auferstanden, sondern er wurde, ein anderer, eine andere Macht, Gott hat das Geschehen in Gang gesetzt, das dem Tod widersteht. Das scheint mir angemessen. Aber: Wie das geschehen ist, davon ist keine Rede. Die Auferweckung wird als Fakt vermittelt. Es wird auch nicht berichtet, dass die Frauen ins Grab gehen und schauen, ob Jesus noch dort ist, auch wenn sie aufgefordert werden, sich das Grab anzuschauen, aber das alles scheint nicht wichtig. Das leere Grab ist kein Beweis für Auferstehung, da lässt sich gar nichts beweisen. Und das bleibt bis heute so.
Wichtig ist der Auftrag. Den Frauen wird die gute Nachricht anvertraut, sie sollen sie weitergeben, „sagt es“, lautet die Anweisung des Engels. In der Lutherübersetzung heißt es zu Vers 10, Jesus habe gesagt, sie sollen „verkündigen“. Das ist ziemlich gewagt von Luther. Frauen in der Verkündigung? Bis heute bleibt es umstritten. Aber in Luthers Theologie heißt es ja, jeder, der aus der Taufe gekrochen ist, sei Priester, Bischof, Papst, und da auch Frauen getauft werden, können sie Priesterin, Bischöfin, Päpstin sein.
Es darf bezweifelt werden, dass Luther sich diese Konsequenz seiner Theologie vorstellen konnte. Aber vielleicht deutet es sich in der Übersetzung mit „verkündigen“ an. In anderen Übersetzungen ist von „erzählen“ die Rede. Das passt wohl mehr zu der Rolle der Frauen damals – oder auch heute? Erzählen dürfen sie, aber verkündigen von der Kanzel? Es hat lange gedauert, bis das in unserer evangelischen Kirche möglich wurde, in der römisch-katholischen Kirche und der orthodoxen ist das noch lange nicht der Fall ...
Aber interessant ist doch: Die beiden Marias nehmen den Auftrag sehr selbstbewusst entgegen. Sie sagen nicht: „Das können wir nicht, das dürfen wir nicht, das verbietet unsere Religion!“ Nein, sie gehen los und erzählen, ja verkündigen. Ich bin überzeugt, diese Botschaft der Evangelien hat Frauen immer wieder ermutigt. Jesus ist schon in seinem Leben Frauen auf Augenhöhe begegnet. Denken wir an das Gespräch mit der Frau aus Samarien über lebendiges Wasser in Johannes 4. Oder an die Begegnung mit der Frau, die ihn lehrt, dass er auch über das Volk Israel hinaus einen Auftrag hat, so zeigt es sich in Matthäus 15, 27f.: „Sie sprach: Ja, Herr; aber doch essen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen. Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst!“ In einer Predigt habe ich einmal gesagt, diese Frau sei eine Lehrerin für Jesus gewesen. Daraufhin erhielt ich einen empörten Brief: Niemals habe unser Herr Jesus sich von einer Frau belehren lassen müssen!
Frauen wurde zur Zeit Jesu Haus und Familie als Wirkungsort zugeschrieben. Die Tradwife-Bewegung von heute lässt grüßen! Das Verhalten Jesu gegenüber Frauen und die Geschichte von der Beauftragung der Frauen als allererste mit der Verkündigung der Auferstehung sprechen eine ganz andere Sprache. Frauen und Männer, alle Menschen sind Geschöpfe Gottes. Ihnen, uns allen wird Leben zugesagt, ganz gleich in welch schwierigen Umständen wir leben. Keiner und keine, niemand hat mehr Lebensrecht als andere.
Gewiss, unsere Kirchen waren jahrhundertelang geradezu ein Hort des Patriarchats. In unseren Kirchen ist viel Unrecht geschehen, gegenüber Frauen und auch gegenüber Kindern. Die Erniedrigung von Frauen war unfassbar von der Hexenverfolgung bis hin zur Heirat in schwarz bei Schwangerschaft vor der Ehe. Eine Demütigung in aller Öffentlichkeit – die wohlgemerkt der Frau galt, nicht dem Mann. Zudem der sexuelle Missbrauch von Kindern in unseren Kirchen, der uns erschüttert, der Vertrauen auf furchtbarste Weise missbraucht hat – und auch noch vertuscht wurde, um die Kirche zu schützen. Bei alldem konnte sich niemand auf Jesus berufen, ganz gewiss nicht. Jesus selbst hat Leid erfahren. Und wollte niemals anderen Leid zufügen oder sie gar demütigen!
Ja, Jesus wurde gefoltert und hingerichtet, daran lässt sich nichts, aber auch gar nichts beschönigen. Aber das ist eben nich t das Ende der Geschichte. Und „Ostern findest du bei ALDI“ – so habe ich es vor zwei Wochen auf einem Plakat in Greifswald gesehen – stimmt eben schlicht nicht. „Er wurde auferweckt“ und „Fürchtet euch nicht!“, das ist entscheidend. Das ist die Botschaft von Ostern. Nein, es gibt keine Beweise. Aber es gibt Glauben, Gottvertrauen und Hoffnung, die wir spüren und erleben, Ostererfahrungen, die wir miteinander teilen können.
So schließe ich diesen Teil mit einem Gedicht von Inge Müller:
Immer wenn…
…das Licht aufersteht, ein neuer Tag beginnt, ein Frühling,
ein zweiter Frühling, immer wenn
eine Krankheit sich bessert,
ein Streit mit einer Versöhnung endet,
ein Mensch eine zweite Chance bekommt, immer wenn
ich einen schweren Stein beiseite rolle, den Stein meines Schweigens,
meiner Angst,
meiner Verlassenheit, immer wenn man mir sagt,
dass das Ende nie das Ende ist
und ich glaube es
…dann ist Ostern.“7
“Ich sing dir mein Lied“ alle fünf Strophen
Bibelarbeit Teil 3
Noch einmal: Mutige Frauen sind das! Sie glauben, was der Engel ihnen sagt und laufen los, „eilends“ wohlgemerkt, um ihren Verkündigungsauftrag zu erfüllen. Sie haben beides, Furcht und große Freude. Das passt. Wobei: Furcht ja, aber GROSSE Freude, das heißt ja wohl, die Freude überwiegt die Furcht. Ich stelle mir das vor wie ein erhebendes Gefühl von Glück, sie können noch gar nicht fassen, was sie gehört haben. Aber auch Furcht, Unruhe, kann das alles sein? Was soll werden aus uns und unserem Leben?
Und dann steht Jesus vor ihnen, er „begegnet“ ihnen, so übersetzt Luther. Sie „treffen“ ihn, heißt es in der Übersetzung in leichter Sprache, er „kam ihnen entgegen“ in der Übersetzung für den Kirchentag. Wie sollen wir uns das vorstellen? Haben sie eine Vision? Steht da real der Auferstandene? Heute würde KI vielleicht ein „digital afterlife“ von Jesus generieren. In einer Zeit der „transzendentalen Obdachlosigkeit“ glauben die „Apologeten der Digitalität“, sie könnten „mithilfe von Algorithmen die Persönlichkeit eines Menschen (zu) synthetisieren“, schreibt Josef Grübel. Und: „Gut möglich also, dass die Toten, die man rief, nicht mehr gehen wollen.“8 Nein es geht nicht um digitale Auferstehung. Die neuen Medien können uns den Schmerz nicht einfach nehmen. Da wird eine Auferstehung vorgespiegelt, die es nicht gibt. Wir leben nicht weiter in virtuellen Welten. Manche Menschen lassen sich nach dem Tod einfrieren, weil sie hoffen, in einer Zukunft mit mehr technischem Know-How wiederbelebt zu werden, Kryostase nennt sich das. Wir leben in einer Welt, in der manche meinen, sie wären unsterblich, könnten das durch Macht und Geld erzwingen. Das allerdings sind doch angstgetriebene Menschen.
Denn das bleibt die Realität: Jeder Mensch ist sterblich. Das ruft uns doch zur Verantwortung, so zu leben, dass wir eines Tages auf unser Leben zurückblicken können und sagen: Es war gut so. Klar, Fehler habe ich gemacht. Aber die begrenzte Lebenszeit, die ich hatte, habe ich im besten Sinne genutzt, nicht nur für mich selbst, sondern auch für andere. Wer so lebt, kann, denke ich, in Frieden das Zeitliche segnen.
Der Tod Jesu aber ist real wie jeder Tod. Da gibt es Trauer und Schmerz, die nicht einfach weggewischt werden können. Jesus stirbt einen grausamen Tod am Kreuz, einen demütigenden zudem, den eines Verbrechers. Und doch, begegnen die beiden Frauen ihm und später auch andere, die ihn schätzten und liebten. Sie erfahren ihn als lebendigen Christus.
Das ist ein Punkt, an dem es schwer wird mit unserem Glauben, da stehen wir vor einem Rätsel – oder eher vor einem Geheimnis? Mir hilft beim Nachdenken darüber ein Zitat des Theologen Heinz Zahrnt: „Wohin Gott durch den Tod uns führt, bleibt ein Geheimnis. Mit einem Geheimnis aber kann man leben, wenn man Vertrauen hat. Über ein Geheimnis kann man auch nachdenken und sogar spekulieren, aber man kann es nicht enträtseln wie den Mordfall in einem Kriminalroman. Wenn der Tod für uns aus einem menschlichen Rätsel zu einem göttlichen Geheimnis wird, dann sind wir ein Stück weiter, dann haben wir überhaupt die letzte uns mögliche Stufe menschlicher Lebensweisheit erreicht und können ‚das Zeitliche segnen‘.“9
Ein göttliches Geheimnis – damit kann ich gut leben. Die Bibel kennt Leid, Schmerz und Tod. Das zeigt schon der hebräische Teil, den wir mit Menschen jüdischen Glaubens teilen, denken wir an Josef oder Hagar, an Hiob oder Tamar. Der christliche Glaube sagt sogar: Gott selbst kennt Leid und Schmerz, ja den Tod. Dieses Sterben Jesu am Kreuz ist ja im Grunde eine Ungeheuerlichkeit. Aber die biblischen Erzählungen dazu enden nicht mit dem Tod, sondern mit der Botschaft: „Er ist auferstanden!“ Der Tod hat nicht das letzte Wort.
Matthäus will gewiss die Niedergeschlagenen und Enttäuschten seiner Zeit ermutigen: Da ist Hoffnung, auch wenn sie jetzt kaum zu sehen ist. Und er will unbedingt beweisen, dass Jesus auferstanden ist. Immer wieder wurde das versucht, indem Erscheinungen Jesu geradezu dokumentiert wurden auch in späteren Jahrhunderten oder Gottesbeweise vorgebracht wurden. Glaube aber beruft sich nicht auf Beweise. Im Lateinischen sind Glaube und Vertrauen dasselbe Wort: fides. Um Vertrauen geht es.
Ich bin überzeugt, die Liebe ist die Brücke zwischen Leben und Tod, dieser Welt und Gottes kommender Welt. Die Jüngerinnen und Jünger haben Jesus geliebt und seine Präsenz gespürt auch nach seinem Tod. Und so geht es uns doch auch mit Menschen, die wir lieben. Meine älteste Schwester ist letztes Jahr im Oktober gestorben. Es ging ganz schnell: Gerade noch gab es ein Treffen, dann Zusammenbruch, Diagnose Hirntumor, Operation, drei Tage später ihr Tod. Mit meiner anderen Schwester konnte ich sie aussegnen, aber der Abschied tat weh. Doch sie bleibt für mich auf eine Weise präsent, die wissenschaftlich nicht belegbar ist. Mein ganzes Leben war sie da, so vieles haben wir geteilt. Und auch jetzt ist sie nicht einfach weg und vergessen, sondern manchmal bin ich dabei, zum Handy zu greifen, sie anrufen, möchte wie so oft etwas mit ihr teilen. Dann ist der Schmerz da, dass das nicht mehr möglich ist. Aber ich rede oft einfach trotzdem mit ihr. Der Tod hat nicht die Macht, unsere so vertraute Beziehung auszulöschen. Ich kann mir vorstellen, dass all die Jesus so sehr vertraut waren, das ähnlich erlebt haben…
Der Neutestamentler Carsten Jochum-Bortfeld schreibt, dass die Auferweckung Jesu die Macht des römischen Imperiums bricht. Die Menschen, die dem Auferweckten begegnen „betrauern nicht mehr den gewaltsamen Tod Jesu, sie beklagen nicht mehr ihre zerstörten Hoffnungen – sie stehen in Gemeinschaft auf und gehen zusammen los, um davon zu erzählen, dass Gott mit der Auferweckung Jesu die todbringenden Mächte und Gewalten überwunden hat. Das ist eine widerständige Erzählung…“10.
Ja, eine widerständige Erzählung. Das überzeugt mich. Wir müssen nicht in der Angst steckenbleiben, die viele von uns dieser Tage lähmt. Zentral scheint mir, was Jesus sagt: „Fürchtet euch nicht“, „Keine Angst“, „Habt Mut!“. Er wiederholt genau das, was der Engel gesagt hat. Und genau das ist die Zusage für uns als Christinnen und Christen heute. Die Auferweckung Jesu wird ein Geheimnis bleiben. Aber wenn wir Gott vertrauen, kann sie uns stärken, unseren Weg hier auf dieser Welt bewusst zu gehen. Dann können wir mutig sein wie die beiden Marias, und aller Angst zum Trotz zum Grab gehen. Dann können wir widerständig sein in einer Welt der Lügen, die verbreitet werden. Dann können wir trotzig sein gegenüber all dem Gerede von Aufrüstung, die Sicherheit und Zukunft bringen soll und von Jesus reden, der eine Kontrastgesellschaft gezeichnet hat. Eine, in der Liebe das entscheidende Kriterium ist. Eine, in der nicht die Börsenspekulanten, sondern die Barmherzigen seliggesprochen werden. Eine, in der nicht die Reichen und Mächtigen im Vordergrund stehen, sondern diejenigen, die geistlich arm sind und noch eine Sehnsucht haben nach Gerechtigkeit. Eine Gesellschaft, in der nicht die Machotypen unserer Zeit, all die Trumps und Putins, Erdogans und Netanyahus, Orbans und XiJi Pings im Vordergrund stehen, sondern die Frauen, die zum Grab gehen, für ihre Kinder sorgen, die Alten pflegen.
„Er wurde auferweckt“ – Gott handelt in der Geschichte des Jesus von Nazareth, nicht Menschen. Auch wenn die Mächtigen der Welt immer wieder Krieg, Leid und Zerstörung über die Menschheit bringen, damals wie heute, steht Gottes Handeln dagegen.
Interessant ist: Der Engel wie Jesus beauftragen die Frauen, die Jünger nach Galiläa zu schicken. Sie sollen nicht fliehen, sich nicht irgendwo in der Ferne in Sicherheit bringen, sondern dahin zurückgehen, woher sie stammen, wo Jesus gewirkt hat. „Die todbringenden Mächte werden überwunden, die Arbeit für Gottes Welt geht weiter.“11 Das ist die Botschaft für uns. Und mit dieser Botschaft möchte ich uns ermutigen, uns nicht wegzuducken. Vieles belastet uns dieser Tage. Die Agression im Land. Die niederträchtige Behandlung von Zugewanderten. Die Armut von Kindern. Die Kriege, die toben. Der Rüstungswahn. Die Klimakatastrophe. Aber wir sollen nicht darauf starren voller Angst, sondern nach vorn gehen voller Hoffnung! Und voller Gottvertrauen!
„Wer nur den lieben Gott lässt walten“ Strophen 1-3.7
Verabschiedung
Lass uns mutig, stark, beherzt von diesem Kirchentag zurückgehen in unseren Alltag. Lasst uns die Ostererfahrung unseres Glaubens in unsere Welt tragen – sie braucht sie, davon bin ich zutiefst überzeugt. Jesus war auf der Erde, er war hier als Mensch, Gott wurde Mensch, deshalb ist Gott uns nahe. Aber Gott konnte nicht Mensch bleiben, unsere Kategorien sind zu eng, um Gott zu halten, zu definieren. Der Gekreuzigte ist auferstanden, ist gegenwärtig im Geist, aber bei Gott im Himmel, in Gottes viel größerer Wirklichkeit. Nein, erklären können wir das wissenschaftlich nicht. Aber wir dürfen es glauben, uns diesem Gott anvertrauen und Spuren von Gottes zukünftiger Welt schon in dieser Welt legen. Hierher hat uns Gott gestellt. Hier übernehmen wir Verantwortung. Aber bitte nicht nur griesgrämig, sondern auch fröhlich in Hoffnung, wie Paulus sagt. Dazu gehört auch das Osterlachen, nach dem Motto „Tod, wo ist dein Stachel?“ (1. Kor. 15,55)
Sehr schön zeigt diese Hoffnung folgende Geschichte: Nachdem Jesus gestorben ist, bittet Nikodemus, ein angesehener Mann in Jerusalem, den schon genannten Josef von Arimathäa, sein Familiengrab für Jesus zur Verfügung zu stellen. Der weigert sich erst, das Grab sei schließlich für seine eigene Familie bestimmt, das könne schwierig werden. Daraufhin sagt Nikodemus: „Stell dich nicht so an, ist doch nur übers Wochenende!“ Das ist Glaubenshoffnung. Lasst sie uns mitnehmen in die Zeit nach dem Kirchentag.
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1 vgl. Peter Fiedler, Das Matthäusevangelium, Stuttgart 2006, S. 20f.
2 Fiedler aaO., S. 33.
3 Ebd. S. 34.
4 Ebd., S. 424.
5 Wer Ohren hat, der höre…!. Das Matthäusevangelium in Karikaturen von Gerhard Mester, edition chrismon 2025, S. 232.
6 Mensch, Jesus. Biblische Cartoons von Gerhard Mester, edition Chrismon 2025, S. 45.
7 Eschbacher Textkarte 4708 „Osterlicht“
8 Josef Grübel, Die Geister, die wir rufen, SZ 16.4.25.
9 Heinz Zahrnt, Glaube unter leerem Himmel, hier zitiert nach: Gott kann nicht sterben. Das Heinz-Zahrnt-Lesebuch, hg.v. Margot Käßmann, Gütersloh 2015, S. 223.
10 Carsten Jochum-Bortfeld, Mut zum Aufbruch, Exegetische Skizze für den Kirchentag 2025.
11 Carsten Jochums-Bortfeld, aaO.
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.