Manuskripte 2025

Kirchentag in Hannover

In dieser Datenbank haben Sie die Möglichkeit, Redebeiträge vom Kirchentag einzusehen.

Diese Sammlung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; wir veröffentlichen alles, was uns die Referierenden zur Verfügung stellen. Die Dokumentationsrechte für ganze Texte liegen bei den Urheber:innen. Bitte beachten Sie die jeweiligen Sperrfristen.

 

Sperrfrist
So, 04. Mai 2025, 10.00 Uhr

So
10.00–11.30
in Deutscher Gebärdensprache
Schlussgottesdienst | Großgottesdienst
Nichts kann uns trennen
Schlussgottesdienst mit Abendmahl
Prof. Dr. Hanna Reichel, Systematische Theologie, Princeton/USA

(1a)

Nichts kann uns trennen“ – wow, ich kann das richtig sehen! Schulter an Schulter steht ihr, hier, auf dem Platz der Menschenrechte. Und fünf Tage haben wir das erlebt: gemeinsam nachgedacht, gelacht, gebetet. 

„Nichts kann uns trennen!“ 

Nach vier Tagen Kirchentag glaube ich uns das. 

Aber darf ich euch mal was sagen?

Ich bin dann trotzdem froh, wenn ich heute Abend wieder mein eigenes Bett habe, und wenn ich auch eine Tür hinter mir zumachen kann. 

So gern ich euch alle auch habe, andere Menschen sind schon auch ganz schön anstrengend. 

Und je näher wir uns sind, desto leichter gehen wir uns auf die Nerven. 

  • Dass du immer den Klodeckel offen lässt. 
  • Dass du über Sachen lachst, die ich gar nicht witzig finde. 
  • Dass ich dir schon wieder eine Predigt halte. 

Ein bisschen Distanz ist gesund. 

Du lässt mich sein, wie ich bin. 

Ich lasse dich sein, wie du bist. 

„Nichts kann uns trennen?“ 

Bei manchen Menschen wäre das ehrlich gesagt eine ganz schöne Zumutung

„Nichts kann uns trennen?!“ Das kann total übergriffig sein! So nach dem Motto: „Das muss die Liebe aushalten ...“ Viel zu oft haben das auch Christenmenschen und Kirchen gesagt. Wenn du auf ein Problem hinweist, dann wirst du als Problem behandelt?

Das hat mit Liebe nichts zu tun. Das ist emotionale Erpressung.

„Nichts kann uns trennen?!“ Uns trennen Gräben! – auch gesellschaftlich. Über die können wir nicht einfach Liebe drüberbügeln

So nach dem Motto: „Du musst das halt aushalten, dass ich ein egoistischer Kotzbrocken bin...“ 

Gute Miene zum bösen Spiel ist kein Frieden. 

Mit Kompromisslerei und Wegducken gibts keine Versöhnung. 

 

(1b) 

„Nichts kann uns trennen? – Von der Liebe Gottes!“ 

Das ist die Liebe, die verbindet.  

Gottes Liebe trägt. 

So sicher wie der Boden

auf dem wir hier gemeinsam stehen. 

So sicher, wie der Boden, auf dem du hier mit Deiner Isomatte geschlafen hast. 

Und so sicher wie der Boden an den Orten, zu denen wir heute wieder aufbrechen. 

Und Gottes Liebe zeigt uns, was Liebe ist. Wenn unser Gesicht steinhart wird, p-p-pustet Gottes Liebe uns an, bis wir blinzeln. 

Gottes Liebe sucht bis in den letzten Winkel nach denen, für die wir keine Zeit haben.

Und wo wir uns einmauern, guckt Gottes Liebe drüber und sagt: Ich lass dich aber nicht allein.

 

(2a)

Gottes Liebe verbindet uns – und das heißt auch, Gott steht dazwischen

Gottes Liebe ist der Puffer zwischen dir und mir: damit ich atmen kann. Gottes Liebe ist der Schutzraum zwischen mir und dir: damit ich dich nicht erdrücke

[Gottes Liebe geht dazwischen und sagt: Stopp. Hier nicht weiter. 

Das ist mein geliebtes Kind.] 

Ohne Gott bin ich dir schutzlos ausgeliefert. Aber Gottes Liebe macht mich mutig. Mutig, Grenzen zu ziehen [gegen die Übergriffigkeit falscher Liebeserklärungen.] Mutig, „nein“ zu sagen, zu sagen: 

  • Das ist keine Liebe, das ist Erpressung. 
  • Das ist keine Liebe. Das ist Ausbeutung.
  • Das ist keine Liebe. Das ist Gewalt. Fass mich nicht an.

 

(2b)

Der amerikanische Vice-Praesident JD Vance hat neulich über die „Ordnung der Liebe“ geredet: dass man eben „natürlich“ zuerst seine Familie liebt, und dann sein Volk, und dann – vielleicht, wenn noch Liebe übrig ist! – andere Menschen. 

Da hat der Papst – Gott hab ihn selig – noch aus dem Krankenhaus gelacht und gesagt, mein lieber JD, du hast da was falsch verstanden. 

Gottes Liebe macht nicht an deinem Gartenzaun halt. Gottes Liebe ist weiter als dein social network und deine tea party, und ganz bestimmt größer als dein erbärmlicher kleiner Rassismus

Die Angst macht die Liebe so klein und eng, bis sie von Ausgrenzung und Feindschaft nicht mehr zu unterscheiden ist. 

Aber Gottes Liebe macht uns stark gegen die Angst. Gottes Liebe sagt, „Fürchtet euch nicht!“ – 

Und macht den Horizont so weit auf. 

Gottes Liebe ist kein Heimatverein und kein „Platz an der Sonne.“ 

„Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes“ Das heißt nicht: Gott gehört uns – Das heißt: Wir gehören zu Gott. 

Die ganze Welt gehört Gott. Und Gottes Liebe gilt eben auch den „anderen,“ und wenn sie noch so nervig sind. 

Wovor wir uns fürchten sollten, ist, mit unserer kleinkarierten Liebe Politik zu machen. Unsere kleinkarierte Liebe baut Mauern, zieht Gräben, und teilt die Welt in Freund und Feind ein. 

Aber nichts von all unseren Trennungen und Ängsten, kann uns trennen von der Liebe Gottes, schreibt Paulus. 

Nichts. Nicht Hohes und nicht Tiefes, nicht Mächte und Gewalten. Nichts! was im Himmel oder auf der Erde ist – all das, sagt Paulus, hat doch Gott gemacht

Das ist doch Gottes Welt

Das seid doch nur ihr

Wenn ihr das erst mal checkt, wovor braucht ihr euch denn dann noch zu fürchten?

 

(2c)

Gottes Liebe macht uns mutig und sie macht uns stark und sie macht uns beherzt, es zu ertragen, wenn es nervig wird. 

Denn es ist ja nervig: Ich muss es mit dir aushalten, auch wenn ich dich total kleinkariert finde. Und du musst es mit mir aushalten, auch wenn du gar nicht weißt, wie du mich einordnen sollst. 

Aber woher sollst du auch wissen, wer ich bin? Und woher soll ich wissen, ob du mich für einen Freak hälst? 

Wenn mein Leben nicht in deine Sprache passt, wie schreibt man dann „Liebe“?

Es ist eine Zumutung: Wir müssen zusammen arbeiten, weil unser Planet umkippt. Warum sollst du dein Tempo begrenzen, warum soll ich weniger Fleisch essen, wenn Milliardäre zum Mars fliegen? Ich würde gern meine Ruhe haben vor deinem Moralismus. Aber wenn wir zusammen draufgehen, ist das dann „Versöhnung“?

Es ist eine Zumutung: Da sind Menschen, die Gewalt und Verfolgung entkommen sind. Ich würde lieber in einer Welt leben, in der ich keine Angst haben muss vor meinem Nachbarn– Diese Nachbarn aber auch. Darum sind sie doch zu uns gekommen. Wenn manche mehr Recht haben auf „heile Welt“ als andere, wie wird dann „Frieden“?

! Ich brauche dich, damit wir leben können. Das ist das Nervige – für uns beide. Die Zumutung, die wir anderen Menschen am wenigsten verzeihen können: dass sie auf Leben und Tod wirklich auf uns angewiesen sind. Ich müsste mein Leben ändern.

Gott macht das, für uns. 

Wir sehen das in Jesus. 

Wir sehen das überall, wo der Geist weht. 

Und Gott sagt: Du darfst das auch. Fass dir ein Herz.

 

Ich denke an Yitzhak Frankenthal vom „Parents‘ Circle.“ Das ist eine Organisation von Eltern, die Kinder an die Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern verloren haben. Yitzhak Frankenthal vom „Parents‘ Circle“ sagt „Wir müssen zusammen leben und wir müssen uns entscheiden: entweder wir teilen uns dieses Land, oder wir teilen uns den Friedhof darunter.“ 

Was für ein Herz! Geradezu göttlich: 

Der Vater, der selbst ein Kind verloren hat, hält eben darum daran fest, 

dem Tod kein bisschen Macht mehr zu geben. Nicht in seinem Leben, und nicht im Leben der anderen.

Wo unser Herz eng wird, macht Gott sein Herz so weit auf, dass kein Platz mehr ist für Trennung und Feindschaft und Tod. 

Das muss man erst mal aushalten.

 

(3)

Gottes Liebe ist nichts für schwache Nerven. Aber Gottes Liebe macht es uns leicht.

Nichts kann dich trennen von der Liebe Gottes.“ Darum bin ich stark genug, dich zu ertragen, bist du stark genug, mir Grenzen zu setzen.

Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes.“ Darum sind wir ganz beherzt: aus einem Haufen kleinkarierter Nervensägen wird die Gemeinschaft der Heiligen

Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes“ – diesen Mut tragen wir vom Platz der Menschenrechte in Gottes ganze, weite Welt

Amen! Das ist: es werde wahr. 


Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.