Evelyne Baumberger, Theologin und Co-Leiterin RefLab, Zürich/Schweiz
1. Mutig sein
Wann hast du zuletzt etwas getan, was Mut brauchte?
Wo dein Herz geklopft hat?
Wann warst du zuletzt mutig?
Hast vielleicht laut gesagt, was du denkst?
Einen neuen Anfang gewagt?
Hast gewagt, fortzugehen.
Oder irgendwo hinzugehen, an einen neuen Ort, zu neuen Menschen.
Vielleicht brauchte es für dich auch Mut, hierher zu kommen.
Vielleicht hast du jemandem gesagt, dass du ihn liebst – oder sie, oder them.
Du hast endlich diesen Termin beim Arzt gemacht.
Hast du jemandem Hilfe angeboten?
Oder Hilfe angenommen?
Das hat bestimmt Überwindung gebraucht.
Mutig sein ist oft schwer, oder?
Vielleicht hattest du sogar ein wenig Angst.
Weil du nicht wusstest, was danach passiert.
Wie andere reagieren.
Aber du hast gewusst:
Das ist jetzt wichtig.
Es ist gut, das zu tun.
Auch wenn es schwer ist.
Das schwierige Gespräch zu beginnen.
Oder aufzustehen – noch einmal.
Genau das bedeutet Mut:
Du hast Angst.
Du weißt nicht, was passieren wird.
Und du tust es trotzdem.
Darum:
Wer mutig ist, ist auch stark – stark im Herz.
Stärker als die Angst.
Auch wenn du das vielleicht erst im Nachhinein erkennst.
Dass du diese Kraft hast.
2. Was, wenn der Mut fehlt?
Mutig, stark, beherzt.
Das ist das Motto des Kirchentags.
Mut, Vertrauen, Liebe – so heißt es bei uns, in diesem Gottesdienst.
Das gefällt mir gut, weil es weicher klingt.
Mutig, stark, beherzt:
Das klingt nach «Ärmel hochkrempeln».
«Wir machen uns jetzt gemeinsam auf den Weg!»
Manchmal ist das total wichtig.
Gerade heute.
Zusammen haben wir eine Kraft, die wir nicht geahnt hätten.
Es braucht uns.
Wir können etwas bewegen.
Manchmal braucht es das, mutig zu sein!
Das steht auch im Vers aus der Bibel, um den es heute geht:
«Lebt mit Neugier in der Welt.
Vertraut Gott.
Seid mutig und stark.
Was ihr tut und was ihr lasst:
Macht alles in Liebe.» (1 Korintherbrief 16,13 f.)
«Seid mutig und stark.»
Vielleicht fühlst du dich aber gerade verletzlich.
Oder du bist müde.
Vertrauen ist schwierig.
Und auch wenn du gerade stark bist:
Vielleicht erinnerst du dich auch gut daran, wie es sich anfühlt, wenn du unsicher bist.
Hilflos.
Wenn du Angst hast.
«Seid mutig und stark.»
Ja, das gilt.
Aber was, wenn es sich nicht so anfühlt?
Wenn «mutig, stark, beherzt» einmal zu schwierig ist – was ist dann?
3. Daniels Begegnung mit Gott (Daniel 10)
Ich erzähle dir eine Geschichte.
Sie steht auch in der Bibel.
Der Prophet Daniel - ja, der mit den Löwen.
Er ist alt geworden.
Er ist kein großer Held mehr.
Er hat zu viel gesehen.
Er ist müde geworden.
Wenn er in die Welt schaut, wird ihm bange.
Sein Leben lang hat er sich eingesetzt.
Hat versucht, Menschen zu erzählen, was wirklich zählt.
Aber er sieht die Menschen, und sie machen immer wieder die gleichen Fehler.
Das macht ihn so müde.
Das macht ihn so müde.
Er kann nicht mehr.
Daniel isst nur noch wenig.
Er pflegt sich nicht mehr.
Er versinkt in seiner Trauer.
Sein Mut hat ihn verlassen – ihn, der früher so mutig war.
Daniel tut, was er immer wieder getan hat:
Er spricht mit Gott.
Vielleicht spricht er auch die Worte aus dem Psalm:
«Gott, ich suche deine Nähe.
Wo bist du?
Ich bitte dich so sehr:
Rette uns Menschen!» (Psalm 27,9)
Eines Tages bekommt er Besuch.
Es kommt jemand zu ihm.
Jemand, der aussieht wie ein Mensch.
Aber stark und strahlend.
Daniel weiß, wer das ist.
Er kennt ihn.
Er weiß: Gott hat ihn gehört.
Und als Daniel den Besucher sieht, lässt er los.
Die Tränen laufen ihm übers Gesicht.
Er sinkt auf seine Knie, fällt zu Boden.
Er legt sich hin und wird ganz klein.
Diese Herrlichkeit Gottes, die er schon so oft gesehen hat.
Und dann diese verkehrte Welt, die den Bach runter geht.
Beides ist da.
Wie geht das zusammen?
Das ist zu viel für Daniel.
Als er so daliegt, spürt er eine Hand auf seiner Schulter.
Eine warme, starke Hand.
Sie rüttelt ein wenig an ihm.
Und langsam bewegt sich Daniel wieder.
Er ist immer noch am Boden, auf seinen Händen und Knien.
Die Augen geschlossen, voller Tränen.
Da hört er eine Stimme.
«Daniel, du überaus geliebter Mensch.
Steh auf.» (Daniel 10,11)
Daniel rappelt sich auf.
Er steht da und zittert, lässt seinen Kopf hängen.
Sein Besucher steht ganz nahe bei ihm.
Daniel spürt ihn, er spürt seine Wärme, seine Kraft.
Der Besucher streicht ihm übers Gesicht.
Ganz zärtlich.
Er gibt ihm einen Kuss.
Und dann sagt er nochmals:
«Hab keine Angst,
Daniel, du überaus geliebter Mensch.
Friede sei mit dir.
Sei mutig und stark.» (Daniel 10,19)
Diese Zuwendung.
Mich berührt das so unglaublich.
Wie zärtlich Gott dem alten Propheten begegnet.
Wie achtsam.
Wie liebevoll er mit ihm spricht.
«Du überaus geliebter Mensch.»
Daniel versteht nach diesem Besuch die Welt nicht besser.
Aber er ist Gott begegnet.
Gott, der ihn liebt.
Das gibt ihm Mut.
Mut, noch ein paar Schritte zu gehen.
Ich glaube, das brauchte genauso viel Kraft wie früher das mit den Löwen.
Aufzustehen – noch einmal.
4. Mut schöpfen aus der Liebe Gottes
Die Liebe.
Sie ist es, was da ist, wenn du nicht mutig, stark, beherzt bist:
Die Liebe von Gott.
Gott, der dir sagt: «Du geliebter Mensch.»
Du musst dich an dieser Liebe nicht festhalten.
Sie hält dich fest.
Sie umarmt dich.
«Macht alles in Liebe.
Was ihr tut und was ihr lasst,
macht alles in Liebe.» (1 Korintherbrief 16,14)
Nicht «mit Liebe», sondern «in Liebe».
In der Umarmung dieser Liebe Gottes.
Diese Liebe trägt dich.
Stützt dich.
Sie richtet dich auf.
Traut dir etwas zu.
Sie macht dir Mut.
Im ersten Korintherbrief, wo unser Bibelvers steht, steht auch ganz viel über die Liebe.
Sie wird beschrieben wie ein Mensch, aber stark und strahlend.
Wie der Besucher bei Daniel.
Diese Liebe legt dir eine Hand auf die Schulter, wenn du am Boden liegst.
Vielleicht ist das für dich ein Funken Schönheit im Alltag.
Vielleicht spürst du die Liebe von Gott in der Umarmung eines Freundes.
In der Natur.
Oder im Gefühl von Frieden, vom Loslassen-können.
Im Ein- und Ausatmen.
Die Liebe ist immer da für dich.
Jeden Tag, jede Minute, bis ans Ende deines Lebens.
Ob du nun gerade mutig bist oder nicht.
«Die Liebe hört niemals auf.» (1 Korintherbrief 13,7)
Sie bleibt da, wenn die Welt den Bach runtergeht.
Wenn du die Hoffnung in die Menschheit verloren hast.
«Die Liebe hofft alles.» (1 Korintherbrief 13,7)
Oder wenn du immer wieder die gleichen Fehler machst.
«Die Liebe ist geduldig.» (1 Korintherbrief 13,4)
Sie ist da, wenn du nicht mehr kannst.
«Die Liebe trägt alles.» (1 Korintherbrief 13,7)
Und sie sagt zu dir:
«Du geliebter Mensch.
Sei mutig und stark.
Vertrau mir.
Was du tust und was du lässt:
Mach alles in Liebe.» (Daniel 10,11 / 1 Korintherbrief 16,13 f.)
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