Werte, Ethik, Interessen

Podium

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Bundespräsident a.D. Joachim Gauck im Gespräch zu aktuellen politischen Fragen und grundsätzlichen Schwierigkeiten.

Im Kirchentagsprogramm befanden sich lange "weiße Flecken": Bewusst freigehaltene Zeiten, um aktuellen Themen gerecht werden zu können. Außenministerin Baerbock reiste direkt nach ihrer Rückkehr aus Lateinamerika an. Von dort berichtete sie von einem gemeinsamen Problembewusstsein: "Alle Staaten wissen: Die Klimakrise ist unsere größte Gefahr."

Doch die Klimakrise ist derzeit nicht das einzige außenpolitische Thema. Zur Situation in der Ukraine positionierten sich Baerbock und Gauck klar: "Auf der Seite des Angreifers zu stehen, ist keine Option", so die Bundesaußenministerin. Gauck begründete seine Unterstützung für die Ukraine, auch mit Waffenlieferungen, dezidiert mit seinem christlichen Glauben: "Dieses lange Zögern, ob wir dem Überfallenen helfen sollen, ob das nicht friedensgefährdend wäre – das hat mich gerade auch als Christ ganz kirre gemacht."

Ethische Verantwortung bedeutet immer, sich vor Augen zu führen – nicht nur: Was sind die Konsequenzen meines Handelns? Sondern auch: Was sind die Konsequenzen meines Nichthandelns?
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock

Anhand des Krieges in der Ukraine erläuterten die beiden Politiker:innen, dass ethische Dilemmata im Politikgeschäft zur Tagesordnung gehören. Baerbock formulierte dazu die griffige Formel: "Ethische Verantwortung bedeutet immer, sich vor Augen zu führen – nicht nur: Was sind die Konsequenzen meines Handelns? Sondern auch: Was sind die Konsequenzen meines Nichthandelns?" Gauck sprach von der schmerzvollen Erfahrung, die es für ihn war, sich von radikal-pazifistischen Einstellungen zu verabschieden. Es sei in der Politik nicht möglich, sich nur mit Utopien zu beschäftigen. Man müsse die Realitäten anerkennen, zu denen auch zählte, dass destruktive Kräfte existieren. Frieden sei wichtig – aber es gehe immer um "Frieden in Freiheit".

Zur Frage nach dem Einfluss der christlichen Religion auf das eigene Handeln erzählte Gauck von seiner Jugend unter dem sozialistischen Regime in der DDR. "Ich vermochte länger und auch verwegener zu hoffen" durch den christlichen Glauben, sagte er und wies darauf hin, dass in der DDR die meisten politischen Bewegungen zur Veränderung der Situation in Kirchen begonnen hätten. Entscheidend sei bei Protestbewegungen, dass sie von den Menschen vor Ort getragen würden. "Die deutsche Einheit hat uns ja nicht Herr Kohl oder Herr Gorbatschow geschenkt, sondern sie wurde möglich, weil Leute auf die Straße gegangen sind."

In Bezug auf andere Krisenherde und den Umgang mit Regierungen, deren Verständnis von Freiheit und Menschenrechten nicht dem deutschen Verständnis entspricht, machte Baerbock deutlich, dass es selten perfekte Entscheidungen gebe. Wichtig sei ihr stets mitzubedenken was die Alternative sei und die bestmögliche Option zu wählen. Dennoch wirkte sie optimistisch: „Werte und Interessen sind kein Widerspruch, sondern zwei Seiten derselben Medaille.“

Autorin: Clarissa Grygier

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