Liturgische Revolution

Gottesdienste

Ein Fest, das die evangelischen Gottesdienste grundlegend veränderte.

Nürnberg, 15. Juni 1979: In der Lorenzkirche wird das erste Feierabendmahl in der Geschichte des Kirchentags gefeiert. 

In den 1970er Jahren spielt das Abendmahl im Sonntagsgottesdienst einer evangelischen Kirche kaum eine Rolle. Abendmahl wird zweimal jährlich gefeiert: An Karfreitag und am Buß- und Bettag – traditionell sind das die höchsten evangelischen Feiertage, aber gleichzeitig auch Trauertage. Um das Abendmahl zu empfangen, melden sich die Menschen zuvor namentlich an und nehmen an einer Beichtfeier teil. Die Atmosphäre ist getragen, kniend bekommen die Gläubigen Brot und Wein als Mund-Kommunion direkt in den Mund gegeben.

Dann wird 1979 der Kirchentag in Nürnberg gefeiert: In St. Lorenz wird zwei Tage lang intensiv über das Abendmahl diskutiert. Es gibt Bibelarbeiten und theologische Diskussionen. Am Freitagabend findet das erste Feierabendmahl statt: Ein Gottesdienst voller Musik, mit Raum für Begegnung in der feierlich geschmückten Kirche, mit Brot und Wein für alle. Teil des Programms sind Mitarbeitende von amnesty international, die von politischen Gefangenen berichten und darum bitten, Briefe zu schreiben. Das Feierabendmahl soll ein Fest sein, das innerlich stärkt, um auch nach außen wirken zu können – ganz im Sinne des Kirchentagsmottos: „Zur Hoffnung berufen“.

Aus der Erfahrung des Kirchentags entwickeln die Mitglieder des Projektausschusses zum Feierabendmahl schließlich die „Lorenzer Ratschläge“, die Georg Kugler zusammen mit theologischen Beiträgen, Erfahrungsberichten und Arbeitshilfen unter dem Titel „Forum Abendmahl“ in Buchform herausgibt:

  • Anstiftung zur Hoffnung: Das Abendmahl soll die Menschen stärken und ihnen Mut machen.
  • Anders leben: Jedes Abendmahl ist auch eine Erntedankfeier – und wer den Schöpfer preist, soll auch die Schöpfung achten.
  • Solidarisch handeln: In der Tischgemeinschaft mit Jesus muss Platz sein für alle Ausgeschlossenen.
  • Universal denken: Der Tisch kann ein Ort der Versöhnung sein, auch zwischen Christ*innen verschiedener Glaubensgemeinschaften.
  • Kinder nicht ausschließen: Jesus hat die Kinder angenommen. Sie sollten auch beim Abendmahl dabei sein dürfen.
  • Menschlich feiern: Das Abendmahl soll erfahrbar machen, dass Gott gut ist. Freude und Gemeinschaft sollen Zeichen dafür sein.

Das Feierabendmahl von 1979 und die Lorenzer Ratschläge setzen einen Impuls für die gesamte evangelische Kirche in Deutschland – der Beginn einer liturgischen Revolution, die evangelische Gottesdienste deutschlandweit verändert. Inzwischen wird das Abendmahl häufiger gefeiert und in den Gottesdienst integriert, statt im Anschluss an den eigentlichen Gottesdienst zelebriert zu werden. Auch Musik und ein festlicher Altarschmuck sind inzwischen fester Bestandteil der Abendmahlsfeier. In der Nürnberger Innenstadt ist St. Lorenz allerdings noch immer die einzige Kirche, in der das Abendmahl jeden Sonntag – und zusätzlich noch in einem Gottesdienst am Donnerstagabend – gefeiert wird.

Auch beim Kirchentag wird das Feierabendmahl zur Dauereinrichtung. 2023 in Nürnberg wird es am Freitagabend in vielen Kirchen in der ganzen Stadt gefeiert – natürlich auch in der Lorenzkirche. Dort plant Pfarrerin Claudia Voigt-Grabenstein ein großes Fest. Sie erwartet über 1000 Menschen am Entstehungsort des Feierabendmahls: „Es wird alles in Bewegung sein. Wir werden Stationen anbieten für Gebete, für Dank, Lob und Fürbitte, die Menschen werden sich segnen und auch salben lassen können und zugleich wird das Abendmahl an unterschiedlichen Orten ausgeteilt. Wir laden ein  zu einem Fest - es wird also viel gesungen und darf getanzt werden!“

Wer kann, sollte zum Abendmahl einen eigenen Becher mitbringen. Kurzentschlossene können aber auch in der Lorenzkirche einen Becher erwerben.

Zu einem Fest gehört Musik. Diese kommt in St. Lorenz von einem alten Bekannten: Fritz Baltruweit, Pastor und Liedermacher aus Hildesheim, gestaltete mit der Studiogruppe Baltruweit bereits das erste Feierabendmahl 1979 mit. Fast ein halbes Jahrhundert später wird er auch das Feierabendmahl 2023 in der Lorenzkirche musikalisch begleiten.

 

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