Manuskripte 2025

Kirchentag in Hannover

In dieser Datenbank haben Sie die Möglichkeit, Redebeiträge vom Kirchentag einzusehen.

Diese Sammlung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; wir veröffentlichen alles, was uns die Referierenden zur Verfügung stellen. Die Dokumentationsrechte für ganze Texte liegen bei den Urheber:innen. Bitte beachten Sie die jeweiligen Sperrfristen.

 

Sperrfrist
Mi, 30. April 2025, 17.00 Uhr

Mi
17.00–18.00
in Deutscher Gebärdensprache
Eröffnungsgottesdienste | Großgottesdienst
Bunt verbunden
Eröffnungsgottesdienst
Ralf Meister, Bischof, Hannover
Jens Krieger-Juhnke, Freiwilligendienstler, Uetze
Laura Brand, Studentin, Hameln

I Umgang mit Masse und Macht

Laura: Wow, wenn ich mich umsehe, bin ich überwältigt davon, wie viele wir sind. Das ist großartig. Es ist so schön, euch alle hier zu sehen – Das berührt mich echt!

Ralf: Kirchentag in Hannover! Es ist beeindruckend, wenn so viele Menschen zusammenkommen. Das hat Kraft. Das ist stark!

Jens: Das ist echt richtig krass – so viele Menschen auf einem Haufen habe ich das letzte Mal bei einer Demo gegen Rechts gesehen. Die war genau da, wo jetzt der andere Eröffnungsgottesdienst ist, auf dem Opernplatz. Und auch da fand ich: So viele Menschen, die für die gute Sache auf die Straße gehen – das hat richtig Mut gemacht. So wie heute hier.

Ralf: Da war ich auch. Und ich gebe Dir recht: Das war ein starkes Zeichen, weil hier wie an ganz vielen Stellen in Deutschland Menschen für Demokratie auf die Straße gegangen sind. Das war toll.

Wir brauchen ganz viel Stärke und positive Begeisterung von Millionen von Menschen, um diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Aber die große Begeisterung von Menschenmengen kann auch kippen. Damals auf der Demo brüllten auf einmal Tausende: „Ganz Hannover hasst die AfD“. Da dachte ich: Hier läuft doch irgendwas schief!?

Jens: unterbricht: Ralf, jetzt warte mal bitte – Wir sind doch gegen den Hass auf die Straße gegangen! Da sind Zehntausende Leute mutig, stark, beherzt auf die Straße gegangen, weil die was Gutes wollten. Genauso wie die Menschen heute hier.

Ralf: Das fand ich auch richtig. Natürlich bin ich nicht für die AfD. Aber mit dem Wort  „Hass“ habe ich Schwierigkeiten. Hass, egal gegen wen, hilft nicht! Hass ist kein starkes Zeichen. Hass ist das Gegenteil von mutig, stark, beherzt. Hass ist doch gerade das, was politische Debatten massiv beeinflusst, eigentlich zerstört. Und wir haben erlebt, dass die Hass-Parolen sich ganz schnell auch gegen andere richten können.

Jens: Ok, ich sehe, was Du meinst. Aber du musst auch sehen: Die großen Demos haben sich stark gemacht für eine lebendige Demokratie. Für alle, die vom rechten Hass ausgegrenzt werden. Für die Vielfalt. Das ist doch wirklich groß!

Laura: Naja, Jens. Bleib mal auf dem Boden der Tatsachen. Dass Demos in jedem Fall etwas ändern, ist doch auch irgendwie eine Illusion.

 

II Stärke und Schwäche

Laura: Wenn ich auf die Weltlage gucke, dann sehe ich: Da setzt sich ein ganz altes Bild von Stärke durch. Die Unsicherheit nimmt zu, Angst regiert, also müssen wir uns wappnen, im Kopf und in den Argumenten „aufrüsten“. Zwei der mächtigsten Staaten der Welt werden von Männern regiert, die auf das Recht des Stärkeren setzen. Ich könnte aber auch stundenlang erzählen über das, was hier bei uns im Land alles schiefläuft! (kurze Pause)

Ralf zu Jens: Erzähl du doch mal, Jens, was für dich Stärke bedeutet?

Jens: Ich bin mit Menschen in einem Team unterwegs – In meinem Freiwilligendienst bin ich hier in Hannover an einem Physikinstitut. Da ist es super wichtig, immer im Austausch zu bleiben. „Hey, du hast doch Problem XY schon mal gehabt, was hast du denn da gemacht?“ Und auch im Ehrenamt ist das so. Wenn ich im Freizeitteam unterwegs bin, dann weiß ich, dass ich mich auf die anderen verlassen kann. Die fangen mich auf, wenn ich gerade mal nicht so viel leisten kann. Da spüre ich Vertrauen, Stärke und dass wir zusammen auf dem Weg sind ... Stark sein heißt für mich nicht, niemals zu wanken. – Wie ist das bei Dir, Laura?

Laura: Hm… Das ist eine wichtige Frage ... Stark war ich, als ich nicht anders konnte ... Als erstes fällt mir eine sehr persönliche Geschichte ein, eigentlich privat. Meine Mutter ist an Krebs erkrankt – mitten in Corona, als ich Abitur gemacht habe. Das hat alles nicht zusammengepasst, aber ich wollte stark sein für meine Mutter, weil sie so gelitten hat. Und am Ende habe ich auch noch selbst Corona bekommen, als eine der Ersten bei uns im Dorf. Ich konnte mit meiner Familie nur durch die geschlossene Balkontür reden. Es war völlig unklar, ob ich das Abitur überhaupt mitschreiben konnte. Es war eine schwierige Zeit. aber jetzt weiß ich: Wir sind unglaublich stark gewesen, als wir richtig schwach waren.

Ralf: Und was hat Dir geholfen?

Laura: Geholfen hat mir, dass meine Familie so zusammengehalten hat. Egal, was war, wir hatten alle das Gefühl: „Wir schaffen das zusammen“ – so ähnlich wie du, das eben beschrieben hast mit deinem Team, Jens. Ich bin total dankbar dass uns Freunde, Lehrer, die Nachbarn und unsere Ortsgemeinde uns so unterstützt haben. Und dann war da mein Glaube. Das Vertrauen, dass da jemand ist, der unsere Familie und mich sieht. Ich habe einfach drauf vertraut, dass auch bessere Zeiten kommen. Dafür habe ich jeden Tag gebetet. (kurze Pause)

Heute bin ich dankbar, dass alles gut ausgegangen ist.

 

III Gottes Stärke

Ralf: Ich finde dein Erleben unglaublich berührend. Eine starke Geschichte, obwohl sie von großer Schwäche erzählt. Es ist eine dieser großen Geschichten, die immer wieder die Warum-Frage stellen, auf die wir Menschen keine Antwort finden. Wo bleibt da der „allmächtige Gott“?

Fast zwei Jahrtausende spielte die Allmacht Gottes die Hauptrolle, so, wie wir es gerade im Glaubensbekenntnis gesprochen haben: „Ich glaube an Gott, den Allmächtigen.“ Wenn man an den allmächtigen Gott denkt, dann denkt man automatisch an Stärke. Ja, die größte Stärke messen wir Gott zu.

Aber wir spüren ja in dem, was wir täglich erleben: Diese Welt ist kein Abbild von Gottes Allmacht, eher ein Abbild von Gottes Ohnmacht. Wir tragen alle kräftig dazu bei, dass dieser Eindruck entsteht. Wir treten oft nicht mutig und beherzt auf. Eher zögerlich und verhalten. Oder es schlägt ins Gegenteil um: Wir haben in unseren Kirchen verheerende Beispiele von Machtmissbrauch.

Jens: Genau, Ralf, und das wird ein bleibendes Thema sein, sich damit weiter auseinanderzusetzen. Damit sind wir als Kirche noch lange nicht fertig! Wir können nicht von Macht und Allmacht reden, ohne uns der Verantwortung zu stellen, die da mit kommt. Ich kann mit dem „allmächtigen Gott“ erst was anfangen, wenn ich mir klar mache: Im Glaubensbekenntnis kommt auch Jesus vor. Und seine Geschichte ist keine Geschichte der Stärke, sondern eine Geschichte der Schwäche.

Laura: Naja, die Story ist schon ziemlich stark.

Jens: Aber eben nicht so „Himmlische-Heerscharen-stark“, sondern anders stark ... Jesus hat sich den Schwachen zugewendet und hat sie in den Mittelpunkt gestellt. Er hat Menschen ermutigt, denen man die Würde genommen hatte. Er hat die stark gemacht, die außen vor waren. Und er hat uns vorgelebt, wie das gehen kann. Mit Jesus hat Gott ein Stück seiner Allmacht abgegeben, damit wir selbst handeln. Zum Beispiel, wenn‘s um‘s Klima geht!

Ralf: Gottes Stärke ist, dass er uns stark macht für Veränderungen. So wie es in der Losung des Kirchentages heißt, so wie Paulus es geschrieben hat: Mutig – Stark – Beherzt. So haben wir es vorhin in der Lesung in verschiedenen Sprachen gehört: Bleibt hellwach und aufrecht – im Gottvertrauen – seid stark und zeigt, was in euch steckt! Euer Tun und Lassen soll in Liebe geschehen. Wir können das: stark sein und schwach. Dinge tun und Dinge lassen, weil wir einen Gott haben, der beides kennt: Das Starksein und das Schwachsein. Das Hinabsteigen ins Totenreich und das Aufstehen. Karfreitag und Ostern. Ein Kirchentag direkt nach Ostern ist für mich deshalb eine besondere Ermutigung. Kirchentag ist die Energie von vielen, vielen Menschen, die nicht die Hände in den Schoß legen, sondern aufbrechen, um diese Welt gerechter zu machen. Deshalb heißt Kirchentag für mich, dass wir in der Verheißung leben, dass diese Welt sich unter Gottes Willen zum Besseren wandeln lässt.

Jens: Für mich heißt Kirchentag: Kraft sammeln und stark werden, die Gemeinschaft genießen, die wir hier erleben dürfen und Netzwerke knüpfen.

Laura: Für mich heißt Kirchentag: beherzt die Hoffnung leben, damit wir andere damit begeistern können.

Amen


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