Loring Sittler, Berater für soziale Innovationen und gesellschaftlichen Wandel, Berlin
Ich begrüße Sie herzlich, meine sehr verehrten Gemeinwohlproduzentinnen und -produzenten!
Schon die Tatsache, dass Sie hier sind, beweist, dass Sie das Motto des DEKT verinnerlicht haben: "mutig – stark – beherzt" (1 Korinther 16,13-14)
Ich gebe Ihnen für die folgende Diskussion vier Impulse:
1. „Die“ Alten gibt es nicht – sondern viele unterschiedliche Potenziale beim extrem inhomogenen Altern
2. Wie viel (öffentlich meist unsichtbares) Gemeinwohl produzieren die engagierten Alten schon heute – neues Alternsbild tut not
3. Wie viel Erwerbsarbeit leisten die Alternden heute schon – nach dem Renteneintrittsalter/Renteneintritt?
4. Was können wir tun, um die Potenziale des Alters in allen Bereichen besser zu heben?
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1. Impuls:
„Die“ Alten – die gibt es nicht! Gezielte Ansprache der Zielgruppe tut not: Das größte Potenzial für weiteres Engagement liegt im mittleren und hohen sozioökonomischen Status: 75 Prozent der über 65-Jährigen
Sozioökonomischer Status
niedrig 25 Prozent
mittel 49 Prozent
hoch 26 Prozent
2. Impuls:
Wie viel (öffentlich meist unsichtbares) Gemeinwohl produzieren die engagierten Alten schon heute – neues, realistisches Alternsbild tut not.
Der wichtige Beitrag der Personen zwischen 65 und 85 Jahren zum Gemeinwohl ist weitgehend unsichtbar – drei Gemeinwohlbeitragsbereiche sind zu nennen:
Mangels verlässlicher Zahlen wird über den Umfang des bürgerschaftlichen Engagements der Personen ab 65 Jahren gestritten wegen unterschiedlicher Definitionen. Nach meiner Einschätzung aus den Generali Altersstudien 2013 und 2017 dürfte es bei etwa 40 Prozent für alle Personen ab 65 Jahren liegen – da kommen 1,5 Milliarden Engagementstunden zusammen, zwei Drittel davon im Bereich zwischen 2–5 Stunden pro Woche. Dieses Engagement entspricht 870.000 Vollzeitstellen. Und da ist noch mehr drin: Ein Viertel der 65-70-Jährigen und ein Fünftel der 70–75-Jährigen ist nachweislich zu mehr Engagement bereit – und sogar 13 Prozent der derzeit noch nicht engagierten Alternden. Dieses Potenzial wird weder ausreichend noch zielgerichtet genug gehoben. Der durch bürgerschaftliches Engagement unmittelbar gestiftete Beitrag zum Gemeinwohl und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt wird auch nicht ausreichend gewürdigt. Hunderte, undotierte Preise und Sonntagsreden sowie die politisch verheerende Verkürzung auf karitatives Engagement tun ein Übriges, um die gesellschaftliche Wertschätzung und damit auch den politischen Stellenwert herabzusetzen.
Der gesellschaftliche Wert der Personen zwischen 65 und 85 Jahren wird weiter gesteigert über erhebliche praktische Hilfe und Unterstützung von Kindern und Enkeln: Sie leisten insgesamt 2,4 Milliarden Stunden Familien-/Kinderbetreuung, das entspricht 2,4 Millionen Vollzeitstellen. Ich habe mehrfach vergeblich versucht, jemanden zu finden, der den volkswirtschaftlichen Wert dieser Leistung seriös ermitteln könnte: Die unbedingt notwendige Frauenerwerbsquote ist nur deswegen möglich, weil es Großeltern gibt. Das ist keine Zeitungs- oder Medienmeldung wert.
Last but not least leisten Personen zwischen 65 und 85 Jahren (und vermutlich darüber hinaus!) regelmäßige finanzielle Unterstützung an ihre Familien – abgesehen von Geldgeschenken und Erbschaften. Da kommen immerhin rund 10 Milliarden Euro zusammen (die Zahlen stammen von 2017!)
Folgerung: Da wird ein Humanvermögen eingebracht, das so manches Bundesprogramm bei Weitem übersteigt. Und noch viel mehr Humanvermögen liegt brach:
Viele Alternde verleugnen ihre Verantwortung für die nächste Generation (Kruse: Generativität) durch eine vorwiegend auf Konsum orientierte Ruhestandsverklärung und wundern sich, wenn sie sich langweilen und depressiv oder/und einsam im Alter werden. Eckart von Hirschhausen hat mal erklärt: „Denen müsste der Arzt ein Engagement verschreiben.“ Und die Engagierten selbst müssten ihre eigene Selbstverzwergung beenden: Auf die immer wieder gestellte Frage: „Warum tust Du dir das an?“ gibt es nur eine Gegenfrage:
Ich produziere Gemeinwohl und was tust Du?
3. Impuls:
Wie viel Erwerbsarbeit leisten die Alternden heute schon – nach dem Renteneintrittsalter?
Von den Personen über 65 Jahren sind durchschnittlich 13 Prozent erwerbstätig, meist in Teilzeit. Ab 75 sinkt der Wert auf unter 10 Prozent. Die vorzeitige, abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren haben mehrere Hunderttausend Personen, vorwiegend hochqualifizierte wahrgenommen – wie lange wollen wir uns diesen Luxus noch leisten bei steigendem Fachkräftemangel und sinkender Geburtenrate?
4. Impuls
Was können wir tun, um die Potenziale des Alters in allen Bereichen besser zu heben?
• Wir brauchen einen neuen Arbeitsbegriff, der Erwerbs-, Familien-, Freiwilligenarbeit umfasst und wertschätzt: Arbeit macht Sinn.
• Wir müssen viel mehr proaktiv auf Altersgenossinnen und Altersgenossen zugehen, sie ermuntern und bestärken, sich (weiter) zu engagieren.
• Wir brauchen effektivere Netzwerke, ein besseres Wissensmanagement und ein besseres Bewusstsein über die Potenziale des Alters.
• Wir brauchen ein nachhaltiges Demografie-Management in Betrieben und in Vereinen
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