Dorothee Wüst, Kirchenpräsidentin, Kaiserslautern
Nancy Janz, Sprecherin Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum der Ev. Kirche in Deutschland (EKD), Bremen
Begrüßung und Hinführung
Nancy Janz:
Willkommen.
Heute geht es um einen Text, der stört.
Der so gar nicht glatt und fromm daherkommt.
Ein Text, der uns etwas zumutet.
Es geht um Grenzüberschreitung.
Und Grenzverschiebung.
In der Bibelarbeit sprechen wir auch über sexualisierte Gewalt.
Dies kann intensive Gefühle und Erinnerungen wecken.
Manche Worte können zu viel sein, manche Momente schwer.
Bitte achte gut auf dich. Du kannst jederzeit gehen oder dich an das Awarenessteam in den lila Westen wenden.
Dorothee Wüst:
Es geht um eine Frau, die stört.
Weil sie sich nicht einschüchtern lässt. Und es geht um einen Jesus, der stört.
Weil er nicht in unser Bild passt.
Weil er unsere Grenzen verschiebt.
Nancy Janz:
Es ist eine sperrige Geschichte mit harten Worten.
Aber auch mit einer Frau, die nicht auf den Mund gefallen ist.
Die für ihre Not Worte findet.
Klar, deutlich, trotzig, stur.
Das gefällt mir.
Dorothee Wüst:
Und mit einem Jesus, der lernt.
Der sich beeindrucken lässt von dieser Frau.
Aus Gefälle wird Augenhöhe.
Aus Ignoranz wird Zuwendung.
Das interessiert mich.
Als Kirchenfrau.
Nancy Janz:
Wir sind zwei Frauen.
Die eine in einer Leitungsfunktion der Kirche.
Dorothee Wüst:
Die andere mit Erfahrungen,
die viel zu oft überhört werden.
Nancy Janz:
Wir sprechen miteinander.
Und mit der biblischen Geschichte.
Dorothee Wüst:
Über unsere Wirklichkeiten.
Über Gott.
Nancy Janz:
Und laden Sie ein
mitzudenken
mitzufühlen.
Dorothee Wüst:
Und zunächst mitzusingen.
Lied „Da wohnt ein Sehnen“
Textlesung (Ragna Miller)
Jesus brach auf und ging ins Grenzgebiet von Galiläa und Tyros.
Er ging in ein Haus und wollte, dass es niemand erfährt; es konnte aber nicht verborgen bleiben.
Sofort hörte eine Frau von ihm, deren kleine Tochter mit einem zerstörerischen Geist zu schaffen hatte. Die Frau kam und warf sich vor seine Füße.
Sie war Griechin, Syrophönizierin der Herkunft nach.
Sie bat ihn, dass er den Dämon aus ihrer Tochter hinauswerfe.
Da sagte er zu ihr: „Lass zuerst die Kinder satt werden.
Es ist nicht gut, den Kindern das Brot wegzunehmen und es den Hunden hinzuwerfen.“
Sie erwiderte ihm: „Herr, auch die Hunde unter dem Tisch fressen von den Brotkrümeln der kleinen Kinder.“
Er sagte zu ihr: „Du hast klug argumentiert.
Mach dich auf, der Dämon ist bereits aus deiner Tochter hinausgegangen.“
Als sie in ihr Haus zurückkam, fand sie das kleine Kind auf dem Bett liegen, und der Dämon war hinausgegangen.
Instrumentalstück
Bibeldialog
Kontext und theologische Rahmung
Dorothee Wüst:
Die Geschichte von Jesus und der fremden Frau findet sich sowohl im Markus-Evangelium wie auch bei Matthäus. In beiden Evangelien folgt sie auf eine Passage, in der es um Reinheit und Unreinheit geht und sich so auf den Punkt bringen lässt: Nichts von außen kann Menschen unrein machen, kann ihn und seine Seele beschädigen, sondern nur das, was aus dem Menschen, aus seinem Inneren herauskommt. Und dann folgen jeweils verschiedene Aufzählungen von Untugenden, die bei Markus in die Begriffe „Hochmut“ und „Unvernunft“ (Luther 2017) münden. Direkt im Anschluss folgt bei Markus dann unsere Geschichte, in der sich – so viel sei vorweggenommen – Jesu Rolle durchaus auf den Prüfstand von Hochmut und Unvernunft stellen lässt.
Direkt danach, nach Jesu „Ausflug“ in die Fremde, nach unserer Geschichte folgen Heilungsgeschichten. Bei Matthäus sind es namenlos „viele“, die geheilt werden, bei Markus dagegen nur einer, der gehörlos ist. Nachdem – auch so viel sei vorweggenommen – Jesus die Ohren geöffnet werden durch das Verhalten einer fremden Frau, öffnet er anderen die Ohren. Diese Heilungsgeschichte wie auch das ganze Kapitel 7 wird beendet durch den Satz: „Die Tauben macht er hören und die Sprachlosen reden.“ Interessanter Abschluss unter der Maßgabe, dass er in der Begegnung mit der fremden Frau derjenige ist, der taub ist und hören lernen muss, während die Frau eben nicht stumm und sprachlos ist.
Während bei Matthäus die Jünger eine auch nicht wirklich rühmliche Rolle spielen, erleben wir bei Markus sozusagen ein zugespitztes Zwei-Personen-Kammerspiel unter Ausschluss sowohl der internen wie der externen Öffentlichkeit. In wenigen Sätzen wird ein immens dichtes Geschehen beschrieben, in dem mehr zwischen den Zeilen steht und sich als Kino im Kopf abspielt, als explizit ausgesprochen und ausgemalt wird. Anders als viele andere Geschichten gibt es keine „Moral von der Geschicht‘“ als Interpretationshilfe am Ende. Wir sollen und müssen uns unseren eigenen Reim darauf machen. Und darum geht es heute morgen:
Ein paar Beobachtungen zum biblischen Text sollen zunächst dazu beitragen:
Nancy Janz:
Die Begegnung findet auf fremdem Territorium statt, abseits der gewohnten Pfade, die Jesus ansonsten geht. Dort hat sein Bekanntheitsgrad offenbar so zugenommen, dass er sich der Öffentlichkeit nicht mehr entziehen kann. Aber auch ein Heiland braucht Ruhe, die sucht er in einem Haus im Gebiet von Tyrus. Offenbar gibt es also Verbindungen in das Gebiet, das nicht gerade um die Ecke liegt, aber offenbar genießt er dort noch immer weitgehend den Schutz der Anonymität. Und den sucht er.
Dorothee Wüst:
Der ist ihm nicht vergönnt. Sein Ruf eilt ihm voraus. Eine Frau hört von ihm, deren Tochter schwer krank ist. Vermutlich hat sie bereits alles versucht, was in ihrer Lage möglich ist, ohne den gewünschten Erfolg. Für sie ist er letzte Rettung, deswegen lässt sie sich nicht aufhalten und abwimmeln, sondern dringt zu ihm durch. Wenigstens räumlich. Sie fällt sozusagen mit der Tür ins Haus.
Nancy Janz:
Und sie fällt in jeder Hinsicht aus dem Rahmen. Sie kommt als Frau, als Fremde, als Heidin, ohne Fürsprache oder Empfehlung. Sie ist aufdringlich und hartnäckig, unbequem und lästig. Wir sehen sie auf Knien liegen und betteln. Und wir erleben einen ungehaltenen Jesus, der sich auf die äußeren Merkmale fokussiert und eben nicht den Menschen in seiner Not sieht. In gewisser Weise konterkariert er damit das, was er gerade vorher so vollmundig über den Wert innerer Haltung behauptet hat. Er ist schlicht genervt, macht keinen Hehl aus seiner Verdrossenheit und macht Heil und Heilung zu einer Art Gut mit limitierter Auflage.
Dorothee Wüst:
Dazu nutzt er das Bild des Brotes. In den „Ich-bin-Worten“ des Johannesevangeliums bezeichnet sich Jesus selbst als das „Brot des Lebens“ (vgl. Johannes 6,35). Überreich und endlos vorhanden. Oder eben nicht. Hier wir das Brot verhandelt wie ein endliches Gut, das nicht allen zugutekommen kann. Oder jedenfalls nicht gleich. Deswegen geht es um Prioritäten und die schließen die Frau zunächst aus. Das wiederum wird aber noch nicht einmal freundlich oder wenigstens höflich vorgetragen, sondern zutiefst abweisend, harsch und demütigend. Was reitet ihn, was ist das für ein Jesus?
Nancy Janz:
Manche wollen darin einen Test sehen, der die Frau und ihre Glaubensstärke auf die Probe stellt. Das lässt sich für mich aus dem Text nur herauslesen, wenn man so gar nicht damit leben kann, dass auch ein Heiland Fehler macht. Ich erlebe in dieser Geschichte einen Jesus, der eben nicht nur wahrer Gott, sondern auch wahrer Mensch ist. Und der macht Fehler und muss lernen.
Dorothee Wüst:
Dass sich ein Lerneffekt einstellt, hat nun vor allen Dingen mit der Frau zu tun, die sich nicht abweisen, nicht entmutigen lässt. Es hat mit der Frau zu tun, die liebt und konsequent auf der Spur dieser Liebe bleibt. Es hat mit der Frau zu tun, die keinen Namen hat in dieser Geschichte, aber mehr Persönlichkeit als viele andere. In dieser Geschichte lernen wir etwas über einen lernenden Jesus und eine Frau, die ihn etwas über Liebe lehrt. Und über Würde. Und über Heilung. Denke ich jedenfalls.
Resonanz (Nancy Janz)
Was höre ich in diesem Text?
Ich höre eine verstörende Spannung:
Ein hilfesuchender Mensch trifft auf den, der Heil verspricht – und wird brüsk abgewiesen. Das irritiert mich zutiefst, weil ich in der Kirche dasselbe Echo kenne: Wer verletzt ist, stößt nicht zuerst auf offenen Raum, sondern auf Mauern des Schweigens.
Gleichzeitig höre ich einen leisen Unterton der Hoffnung: Die Geschichte endet nicht mit der Abweisung. Etwas bewegt sich – in Jesus, in der Szene, im Ganzen.
Wo erkenne ich meine eigene Geschichte?
Die syrophönizische Frau steht vor mir wie ein Spiegel:
Frau im Text: |
Ich als Betroffene |
Kommt von außen, spricht eine Fremdsprache, gilt religiös als "unrein". |
Komme mit der "falschen" Geschichte - seuxualisierte Gewalt deckt man nicht gerne in der Kirche auf. |
Bittet um Heilung für ihr Kind. |
Trete für mich, mein verletztes inneres Kind ein. |
Wird zuerst zurückgestoßen. |
Erlebte jahrelang Abwehr und Beschwichtigung. |
Widerspricht, stellt sich selbstbewusst hin. |
Lerne immer mehr meine Stimme zu gebrauche und erlebe gehört zu werden. |
Wird schließlich gehört - ihr Kind wird geheilt. |
Hoffe auf Heilung, Wahrheit und Gerechtigkeit. |
Umgang mit Ohnmacht, Ausgrenzung, Grenzüberschreitung
Der Text zeigt drei Ebenen:
- Ohnmacht – Die Frau (und ihr Kind) sind ausgeliefert. Ich kenne das Gefühl, dass Täter*innen Macht hatten und mich schamlos ausgenutzt haben, mir das Gefühl gaben nicht richtig zu sein. Sie haben meine Hilflosigkeit, meinen Schmerz und meine Verzweiflung zur Befriedigung ihrer eigenen Begrenztheit genutzt, benutzt. Und institutionelle Systeme haben mich schutzlos gelassen, mich im Stich gelassen und auch meine Spiritualität, meinen Glauben nicht geschützt.
- Ausgrenzung – „Nicht für dich, du bist kein Kind Israels!“ Kirche hat Betroffene und mich oft als Störerinnen der „guten Ordnung“ empfunden. Ich habe in Frage gestellt: wie kann ein Täter auf der Kanzel stehen, von Gerechtigkeit und Heil sprechen und gleichzeitig so viel Leid bringen. Doch der Schutz für den Täter ist größer, der Verlust einer charismatischen Person, eines Hirten scheinbar wichtiger als ein Schäflein in der Herde zu bewahren.
- Grenzüberschreitung – Der abschätzige Hundevergleich ist selbst eine verbale Grenzverletzung. Auch ich habe herabsetzende Reaktionen erlebt: „Was tust du der Familie an? Hat er dir nicht auch so viel Gutes getan? War es denn wirklich so schlimm, du wolltest es doch bestimmt? Du warst doch schon so alt, hättest Nein sagen können. Wenn du vergibst, dann ist dein Weg zu Gott frei und du wirst nicht mehr zweifeln.“ Die Botschaft darin an mich: „Ich bin also falsch, muss etwas ändern, bin selbst schuld.“
Doch der Text bleibt nicht in der Gewaltstruktur in der Grenzüberschreitung stehen. Die Frau überschreitet eine Grenze der Konvention. Sie steht mutig, lässt sich nicht wegschicken, weil sie so stark liebt – und genau da beginnt die Wende.
Wenn eine Autoritätsfigur erst ablehnt – und dann doch hört.
Hier ruckt die Erdplatte: Jesus, der Lehrmeister, lernt. Autorität wird neu definiert – sie liegt nicht im Status, sondern in der Bereitschaft, sich korrigieren zu lassen. Und das ist für mich der Fingerzeig an Kirche, an Gemeinschaft an Christenmenschen:
Heiligkeit besteht nicht darin, keinen Fehler zu machen, sondern bereit zu sein, Fehler einzugestehen und zu lernen. Lernen neue Wege zu gehen, zu hören, auch ohne Lösung parat zu haben, sich einlassen, mitfühlen und verändern wollen.
Erfahrung: „Ich widerspreche – und werde gehört“
Mein Widerspruch ist kein Angriff, sondern ein Rettungsseil:
„Auch die kleinen Hunde unter dem Tisch essen von den Brotkrumen der Kinder.“
Die Frau bringt keine neuen Fakten, sie bringt sich. Ihr Gegenargument stellt die bisherige Logik auf den Kopf: Es ist genug Brot da! Genauso halte ich es der Kirche hin: Gottes Gnade ist nicht knapp – warum also Sparmodus bei Aufklärung, Aufarbeitung, Entschädigung?
Warum Sparmodus beim Zuhören und Lernenwollen? Eine neue Liturgie, neue Sprache, die die Zweifelnden mitnimmt, die Gewalt nicht negiert und gemeinsame neue Wege gehen will.
Erst nach dem Widerspruch löst sich Jesus Starrheit auf: „Um dieses Wort willen … geh heim, der Dämon ist ausgefahren.“
Das Kind ist frei – weil die Mutter widersprach. Sie hat sich eingesetzt, aus Liebe zu ihrem Kind.
Meine Hoffnung: Auch das innere Kind in mir, in anderen Betroffenen, kann frei werden, wenn unser Widerspruch endlich ernst genommen wird.
Resonanz (Dorothee Wüst)
Für mich ist der Text ein Eiertanz der Rollen. Nur zu gerne würde ich auf der Seite von Jesus stehen, dem guten Hirten, dessen Bild bei meiner Großmutter über dem Sofa hing. Der stets und immer zu Hilfe bereit ist, nichts und niemanden übersieht. Der all die Starrköpfigen, Dogmatischen, Gefühlsdummen mit einem Satz in die Ecke stellt und uns allen den barmherzigen Samariter, den verlorenen Sohn, die Arbeiter im Weinberg ins Stammbuch schreibt. Ins kirchliche Stammbuch. Wir sind seine Kirche. Oder wollen es jedenfalls sein. Und ich gehöre zu dieser Kirche, habe sie immer als Heimat empfunden, profitiere von dem Kompass, den mir ebenjener Jesus gibt.
Hier verliere ich den Kompass. Will nicht an seiner Seite stehen. Will viel lieber bei der Frau stellen, ihr Anliegen teilen, diesen Jesus so lange schütteln, bis er ihr endlich in die Augen blickt. Empört balle ich die Faust, als er mit abgewandtem Gesicht von Hunden spricht, kann nicht fassen, dass mein Herr und Heiland zu solcher „hate speech“ in der Lage ist. Abfällig, ignorant, kränkend, entwürdigend. Sie hat all meine Sympathie, diese Frau. Bei ihr will ich sein. Aber bei ihr bin ich nicht. Sie schickt mich zurück auf die andere Seite.
Auf die eines Jesus, der mir in dieser Geschichte so fremd ist. So fremd wie eine Institution, die eben nicht Heimat ist. Zu der ich gehöre, die ich vertrete, für die ich Verantwortung trage. Und die nicht nur in dieser Geschichte nichts gemein hat mit dem guten Hirten. Die Verletzte liegen lässt, verlorenen Söhnen und Töchtern die Tür weist und sehr genau auf die Unterschiede im Weinberg Gottes achtet. Herrje.
Jetzt stehe ich da. Bei ihm. Bei Jesus. Wie gern würde ich verstehen, warum er sich so verhält. Wie gern würde ich begründen, warum er trotzdem der Gute in der Geschichte ist. Wie gerne hätte ich Argumente, die mir auf dieser Seite Sicherheit geben. Aber die habe ich nicht, die kann ich nicht haben. Mein Herr und Heiland verhält sich abweisend, ignorant, lieblos. Und meine Kirche kann das auch. Tut das auch. Predigt vom barmherzigen Samariter und weist Verletzten die Tür. Spricht von verlorenen Kindern und hat nur Angst, das eigene Standing zu verlieren. Macht aus Arbeitern im Weinberg ihr eigenes Kastensystem, in dem Jacke näher ist als Hose.
Und ignoriert all die, die an der Tür kratzen, auf der Schwelle stehen, sich nicht abweisen lassen. Und sich dennoch abgewiesen fühlen. Immer und immer wieder. Oder noch nicht einmal die Kraft aufbringen zu kratzen, zu stehen, zu drängeln, zu fordern. Was ihnen zusteht. Weil ihnen Unrecht widerfahren ist. Lebenszerstörendes Unrecht. Die Tür müsste weit offen stehen. Sie tut es nicht. Sie ist nach wie vor abweisend, ignorant, lieblos. Und es ist meine Tür. Ich bin hinter der Tür. Und ich trage Verantwortung dafür, was hinter der Tür passiert. Und ob sie offen steht. Ob ich das will oder nicht.
Jesus will auch nicht. Aber er wird vorgeführt. Von einer Frau, die ihn vorführt. In all seiner Abweisung, Ignoranz und Lieblosigkeit. Und er schlägt die Tür nicht zu. Er schlägt die Tür eben nicht zu. Verschanzt sich nicht hinter was auch immer. Er hält aus. Er hält die Frau aus. Und hält am Ende auch sich aus. Als einen, der es einfach verkackt hat. Und nicht in der Spirale des Versagens bleibt, sondern die Kurve kriegt. Und lernt. Ich erlebe einen lernenden Heiland, einen lernenden Gott. Der sich beeindrucken lässt, sich ändern lässt, sich ändert. Wegen einer fremden Frau. Und ihrer Not. Und ihrer Liebe.
Die ist der Kompass. In dieser Geschichte gewinne ich ihn neu. Als Geistliche, als Kirche. Und erinnere mich an Jesu Worte im Vorfeld jener Begegnung. Das, worin wir uns in unserer Glaubwürdigkeit bewähren, muss von innen kommen. Die einzige Dynamik, die in dieser Geschichte zählt, ist die der Liebe. Sie setzt etwas frei. Bei der Frau und bei Jesus. Diese Dynamik zählt. Sonst nichts.
Lied: „Such Gott von ganzem Herzen“
Fazit: Impuls zur Gegenwart
Nancy Janz:
Glaube fängt dort an, wo wir uns nicht länger abfinden. Ich brauche eine Kirche, in der ich nicht Statistin oder politisches Feigenblatt bin, sondern Frühwarnanlage. Ich brauche eine Kirche, die meinem Nein zu Unrecht zutraut, Gottes Ja hörbar zu machen. Nur wenn ihr Erfahrungen wie meine ins Zentrum stellt, kann Kirche Schutzraum werden.
Dorothee Wüst:
Dein Nein rüttelt auch an meinem Selbstverständnis. Jesu Begegnung mit der Syrophönizierin zeigt: Größe liegt im Umlernen. Als Leitung heißt das für mich, Strukturen so zu öffnen, dass deine Perspektive unser gemeinsames Gewissen wird – und dass Lernfähigkeit als Stärke gilt, nicht als Makel oder Defizit.
Nancy Janz:
Nur wenn wir andere Stimmen hören wollen, wenn wir leise, verletzte, fragende Stimmen hören wollen, wenn uns die Stimmen von Kindern, Armen, Queeren, Migrant*innen etwas wert sind, wächst der Raum für Heilung. Widerstand ist nicht der Feind des Glaubens, sondern sein Herzschlag.
Dorothee Wüst:
Dann geht es nicht um ein Nischenthema, um eine Nebenbaustelle, um ein Seitengleis, das sein kann, aber nicht sein muss. Dann geht es um ein „Muss“. Kirche muss sich grundsätzlich, konsequent und nachhaltig unterbrechen lassen. Muss sich hinterfragen und hinterfragen lassen. In Theologie und Gottesdienstgestaltung, in Gremiensitzungen, selbst in Haushaltsplänen. Erst wenn es auf ganzer Linie zu Haltung und Kultur gehört, zu sehen, zu hören, zu fühlen, bauen wir an einer Kirche, die wahrhaft menschenwürdig und glaubwürdig ist.
Nancy Janz:
Kirche wird sicherer, wenn sie mutig stehen und stark lieben lernt – indem sie das Störende zur Lehrmeisterin macht. So wird aus Widerspruch Segen, aus Risiko Vertrauen, aus Betroffenen Mitschöpfer*innen. Nur eine hörende Kirche kann heilende Kirche sein.
Lied: „Keinen Tag soll es geben“
Segen
Wüst: Du bist nicht zu viel.
Janz: Du bist nicht falsch.
Wüst: Du bist kein Hund unter dem Tisch.
Janz: Du bist ein Kind Gottes.
Wüst: Der Tisch ist für dich gedeckt – mit Brot, nicht mit Krümeln.
Janz: Wenn du sprichst, bewegt sich Geschichte – Gottes Geschichte und unsere.
Wüst: Geh im Namen der syrophönizischen Frau.
Janz: Geh im Namen der Tochter, die frei wird.
Wüst: Geh im Namen der Liebe, die nicht locker lässt.
Janz: Sie lässt dich mutig stehen und stark lieben.
Danksagung
Dorothee Wüst:
Bevor wir das letzte Stück vom Duo PlayGround aus Tübingen hören, bedanken wir uns herzlich für die musikalische Unterstützung, bei Ragna Miller für die Lesung, beim Dolmetschendenteam, dem Technikteam und allen, die diese Bibelarbeit ermöglicht haben.
Mit unseren Gedanken und Gottes Segen wünschen wir einen guten Start in den Tag. Und geben ihnen gerne unser Motto mit auf den Weg: Mutig stehen, stark lieben. Und daran lasst uns beherzt glauben.
Text wie von Autor/in bereitgestellt. Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.