Zusammenhalt als starkes Instrument

Ukraine

Verantwortliche des Kirchentages wünschen sich Klarheit im Umgang mit Russland und mehr Dialogräume im Streit um Rüstungslieferungen und Sicherheitspolitik

Ein Jahr nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine ruft der Präsidiumsvorstand des Deutschen Evangelischen Kirchentages zu einem breiten gesellschaftlichen Dialog über die Friedens- und Sicherheitspolitik in Deutschland und Europa auf.

Die Mitglieder des Präsidiumsvorstandes, Thomas de Maizière, Anja Siegesmund und Torsten Zugehör, erklären:

"Der verabscheuungswürdige Überfall Russlands auf die Ukraine und die seit einem Jahr andauernden Kämpfe führen zu unermesslichem Leid und Zerstörungen ungeahnten Ausmaßes. Ein Ende ist nicht in Sicht. Die Ukrainerinnen und Ukrainer verteidigen ihre Heimat und ihre Freiheit zu einem hohen Preis. Wir stehen ohne Wenn und Aber an der Seite der Ukraine. Zu Recht erwarten die Menschen die fortwährende Unterstützung ihres Kampfes durch die demokratische Staatenwelt – finanziell, humanitär, wirtschaftlich – aber auch durch Waffenlieferungen und militärische Kooperationen. Das gilt insbesondere für Europa und uns in Deutschland. Vor diesem Hintergrund bekräftigen wir nochmals die Botschaft, die wir zu Beginn des Krieges formulierten: ‘Wer die eigene Freiheit verteidigt, bedarf der Unterstützung aller, die jetzt in Freiheit leben.’

Mit anhaltendem Verlauf des Krieges wurde deutlich, dass die Meinungen über die Art und Weise angemessener Unterstützung in unserem Land sehr stark auseinander gehen. Helfen Waffenlieferungen den Frieden in Freiheit zu gewinnen oder verlängern sie nur ergebnislos den Krieg? Führen bestimmte Waffenlieferungen zu einer Eskalation und einem globalen Flächenbrand? Wer wäre dann für diese Eskalation verantwortlich? Ist die Unterstützung der Ukraine ein Schritt der europäischen Selbstverteidigung gegen die russische Aggression? Brauchen wir in dieser ‘Zeitenwende’ eine Aufrüstung?

Keine der Antworten darauf ist leicht. Unsicherheiten über die Folgen des eigenen Handelns bleiben. Wir als Christinnen und Christen erleben dies im anhaltenden Streit um eine möglichst gemeinsame Position in unseren Kirchen. Krieg soll um Gottes Willen nicht sein. Dieser Glaubenssatz ist unsere gemeinsame christliche Überzeugung. Wie aber verhalten wir uns richtig, angesichts von Tod und Vernichtung in der Ukraine und den Hilferufen dieses Landes? Oder wie verhalten wir uns wenigstens verantwortbar, wo es kein richtig oder falsch gibt?

Wir wünschen uns eine starke und öffentlich wahrnehmbare Stimme unserer Kirchen in der öffentlichen Debatte. Gemeint sind keine fachlichen Beiträge sicherheitspolitischer Art – davon gibt es mehr als genug. Es geht uns viel grundsätzlicher um die christlichen Perspektiven auf die Verantwortbarkeit und Notwendigkeit militärischer Mittel. Auf dem Kirchentag in Nürnberg werden wir darüber öffentlich, ernsthaft und streitig diskutieren.

Wir benötigen dringend solche Dialogräume, die helfen, unterschiedliche Positionen in unserem Land wahr- und ernst zu nehmen. Ein gemeinsames, dem Ernst der Lage angemessenes Ringen um das Notwendige, das ist ein Kraftakt, vielleicht auch manchmal eine Zumutung. Aber nur eine gemeinsame Verständigung ermöglicht Zusammenhalt. Und diese ist eine starke Waffe, die wir diktatorischer Aggression entgegensetzen können. Gesellschaftlicher Zusammenhalt trotz unterschiedlicher Positionen ist etwas, was Diktatoren nie verstehen werden.

Wir rufen dazu auf, sich auf der Suche nach den richtigen Antworten angesichts menschenverachtender Aggression fair und respektvoll zu begegnen. Mit dem Kirchentag 2023 in Nürnberg werden wir dafür einen passenden Rahmen schaffen. Wir hoffen auf weitere ähnliche Initiativen, um Dialog und Zusammenhalt in unserem Land zu fördern."

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